Wenn genügend Leute denken, dass eine Bank ein Problem hat, dann hat sie ein Problem. An diesen Satz wird derzeit Deutsche-Bank-Chef John Cryan denken, wenn er morgens aufsteht, wenn er zu Mittag isst, und wenn er abends zu Bett geht. Die Deutsche Bank hat viele Probleme, keines für sich wirft sie um, alle zusammen genommen führen aber dazu, dass jeder über sie redet und damit das Grundproblem verschärft: Die Bank hat unser Vertrauen verloren.
Und weil diese Wunde so offen klafft, ist es für die Geier der Finanzmärkte so einfach, darin schmerzhaft herum zu bohren: So wie jene US-Hedgefonds in der vergangenen Nacht, die ihre Positionen bei der Deutschen Bank auflösten.
Dass sie vorher offenbar auf einen fallenden Kurs gesetzt und genau dieses Ziel mit ihrer öffentlichen Jammerei erreicht haben – wen schert das am Morgen danach, wenn die Aktie in die Tiefe rauscht? Oder so wie die US-Ermittler, die gediegene 14 Milliarden Dollar Strafe von der Bank verlangen, damit sie ihre Sünden aus dem Hypotheken-Skandal büßt.
Dass Forderung und tatsächliche Zahlung mitunter weit auseinanderliegen - wen kümmert das, wenn der Kurs von Rekordtief zu Rekordtief eilt? Dass seit der Lehman-Pleite in Deutschland, Europa und den USA Rettungsfonds aufgebaut und Abwicklungsmechanismen vereinbart wurden, dass die Banken ihr Eigenkapital stärken und ihre Bilanzsummen verkleinern – wen kümmert das, wenn der Blick auf den Kurszettel jeden Morgen eine neue Hiobsbotschaft bereithält?
Nein, was hier passiert hat mit Verstand nichts mehr zu tun. Es ist eine Bande von Geiern, die ein waidwundes Opfer gefunden hat und nicht mehr davon ablässt.
Natürlich hat sich dieses Opfer selbst in seine verzweifelte Lage gebracht. Viel zu lange hat die Deutsche Bank auf den Kulturwandel gesetzt, wo ein Strategiewechsel von Nöten gewesen wäre. Viel zu lange hat sie ihre Rechtsstreitigkeiten verzögert, wohlwissend, dass ein Ende mit Schrecken besser ist, als eine jahrelange Ungewissheit. Und noch immer bedenkt sie jene Vorstände mit viel zu hohen Boni, die Teil des Problems und nicht Teil der Lösung gewesen sind.
Aber seit dem Abgang des unglücklichen Duos aus Anshu Jain und Jürgen Fitschen und mit dem Antritt des Sanierers John Cryan hat sich etwas geändert. Sein erklärtes Ziel ist es, die Bank auf ein Normalmaß zu schrumpfen. Die Herausforderung für ihn besteht darin, den produktiven Kern der Bank rechtzeitig freizulegen, bevor die Eigentümer dieser Bank – institutionelle Investoren, Hedgefonds und private Anleger – die Zuversicht gänzlich verloren haben.
Das sagten Experten zur drohenden US-Strafe für die Deutsche Bank (vor der Entscheidung)
"Die Deutsche Bank wird diese Strafe nicht ohne Kapitalerhöhung bezahlen können. Das Eigenkapital von derzeit gut 60 Milliarden Euro sollte nicht weiter sinken. Das würde das Vertrauen in die Solidität weiter erschüttern. Die Gewinne der Bank sind derzeit so niedrig, dass sie kaum ausreichen werden, die Lücke zu füllen. Jetzt rächt sich, dass Bankenaufsicht und Bankenregulierer in den letzten Jahren nicht auf eine stärkere Erhöhung des Eigenkapitals der Deutschen Bank gedrängt haben."
"Jetzt kommt es mit Blick auf die Bank und die Beschäftigten darauf an, dass die Rechtsstreitigkeiten und damit verbundenen Unsicherheiten schnell gelöst werden. Wir erwarten, dass man einen angemessenen Kompromiss finden wird."
"Ich rechne damit, dass die Deutsche Bank am Ende vier bis 5,5 Milliarden Dollar bezahlen muss - das ist etwas mehr als bisher erwartet. Da wir im US-Wahlkampf sind, kann die Summe aber auch höher ausfallen - etwa sechs oder sieben Milliarden Dollar. Auch der Streit der EU mit Apple und Google kann durchaus dazu führen, dass die Summe höher ausfällt als vergleichbare Strafzahlungen von US-Banken.
Alles über sieben Milliarden Dollar wäre für die Deutsche Bank sehr gefährdend. Die Deutsche Bank müsste sich dann Gedanken machen, ob sie im normalen Geschäft noch mehr Risiken abbauen kann. Wenn alle Stricke reißen, müsste die Deutschen Bank ihre Kronjuwelen verkaufen - die Vermögensverwaltung - oder eine Kapitalerhöhung in Angriff nehmen. Die Deutsche Bank muss die Probleme in jedem Fall aus eigener Kraft bewältigen. Ich bin ziemlich sicher, dass es keine Staatshilfen geben wird.
Die deutsche Politik sollte sich nicht in die Verhandlungen über die Höhe der Strafe einmischen. Frankreich hat einst Öl ins Feuer gegossen, als es bei einer Milliarden-Strafe für BNP Paribas in den USA intervenierte. Das hat nichts gebracht, sondern die ganze Sache nur noch verschärft."
"Wenn die Strafe am Ende fünf Milliarden Euro oder mehr beträgt, wird die Deutsche Bank nicht um eine Kapitalerhöhung herumkommen. Investoren wollen nicht, dass die Kapitalquote der Bank zu nah an den Mindestanforderungen der Regulierer liegt."
"Wir erwarten, dass das mögliche Verhandlungsergebnis deutlich unterhalb des ersten Vergleichsvorschlags liegen wird. Eine Strafzahlung von rund 2,5 Milliarden Dollar würden wir als akzeptables Ergebnis einstufen. Eine Strafzahlung oberhalb der bestehenden Rückstellungen würde die Wahrscheinlichkeit einer Kapitalerhöhung unseres Erachtens erhöhen."
"Das Justizministerium hat die Deutsche Bank dazu auserkoren, ihren Teil beim Stopfen des enormen US-Haushaltsdefizits beizutragen."
"Angesichts der prekären Finanzlage einiger europäischer Banken, von denen die Deutsche eine des risikobehaftetsten und systemrelevantesten ist, ist dies verstörend und wirkt kurzsichtig und unnötig strafend." Selbst ein Drittel der angedrohten Strafe von 14 Milliarden Dollar wäre eine schwere Last für eine Firma mit einem Börsenwert von rund 18 Milliarden Euro. "Gigantische Forderungen unterminieren Banken, drohen einige der am meisten globalisierten, systemrelevanten Institute zu destabilisieren, just als ein Cocktail neuer Regulierungen und ultra-niedriger Zinsen die Ertragskraft zerstören. Es gibt Spekulationen um eine neue Ära der 'Auge-um-Auge'-Handelskriege. Die Deutsche Bank könnte der Prügelknabe für den Angriff der EU-Kommission auf Apple sein."
Seit einigen Tagen ist Cryan bei diesem Wettrennen um den letzten Rest an Vertrauen ins Hintertreffen geraten. Die Märkte spielen die Pleite durch. Es kann gut sein, dass aus dieser Spirale nach unten nur ein Weg herausführt: Ein auf die Deutsche Bank gemünztes „Wir schaffen das“ des Finanzministers oder ein „Whatever it takes“ aus der Zentralbank würde alle Geier vertreiben. Es würde die Zweifel zerstreuen, ob Lehman nicht doch in Frankfurt beheimatet ist. Es wäre zwar ein Eingeständnis der Schwäche, aber es wäre ein Tiefpunkt, von dem aus es wieder aufwärts gehen kann.
„Ich würde mich schämen, wenn wir in der Krise Staatsgeld annehmen würden.“ Dieser Satz von Cryans Vor-Vorgänger Josef Ackermann strahlte schon immer eine unangemessene Hybris aus. Cryan ist angetreten, um damit Schluss zu machen. Wenn es ihm ernst damit ist, darf er jetzt das Unmögliche denken. Und es im Zweifelsfall auch tun.