Deutsche Bahn Gewerkschaften gegen zu viel staatlichen Einfluss

Als Folge des Streits im Aufsichtsrat um vakante Vorstandsbesetzungen fordern Gewerkschafter endlich weniger staatlichen Einfluss.

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Deutsche-Bahn-Zentrale Quelle: AP

Alexander Kirchner ist ein Typ, der nicht jedem Trend nachläuft. Doch seit gut zwei Wochen trägt der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) eine Apple Watch. Und zwar die neueste samt integrierter SIM-Karte, mit der man vom Handgelenk telefonieren und Nachrichten einsprechen kann. Kirchner, der knapp 200 000 Eisenbahner vertritt, ist mit seiner Anschaffung sehr zufrieden. Er wolle „mit der Zeit gehen“, sagt er.

Ähnliche Aufgeschlossenheit erwartet er nun von der Politik. Kirchner ist mächtiger Vizechef im Aufsichtsrat der Bahn, einem traditionell von der Politik beherrschten Organ. Was er dort in diesem Jahr erleben musste, hat selbst den hartgesottenen Gewerkschafter schockiert. Vor allem die von der Bundesregierung entsandten Aufsichtsräte konnten sich nicht auf geeignete Kandidaten für drei vakante Vorstandsposten einigen. Zwischendurch entglitt Aufsichtsratschef Utz-Hellmuth Felcht gänzlich die Kontrolle, Sitzungen wurden verschoben.

Deswegen fordert Kirchner nun ein Ende der politischen Einflussnahme auf die strategische Ausrichtung des Staatskonzerns. „Die künftige Bundesregierung sollte mehr unabhängige Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft in den Aufsichtsrat schicken“, sagt der EVG-Chef. „Bundestagsabgeordnete und Staatssekretäre sollten in Zukunft bei der Deutschen Bahn nicht mehr im Aufsichtsrat sitzen.“ Nur so könne das Gremium frei und unabhängig agieren.

Neue Weichenstellung

Mit der Kritik steht Kirchner nicht allein. Auch andere Arbeitnehmervertreter fordern eine Trendwende. Damit könnten sie in der Politik auf offene Ohren stoßen. Grüne und FDP machen Stimmung für eine stärkere Entflechtung von Schienennetz und Betrieb. CDU-Wirtschaftsexperte Carsten Linnemann hält es „prinzipiell für vernünftig, wenn weniger Politiker in den Aufsichtsräten von Staatskonzernen sitzen“. Wird Jamaika zur Zäsur für Bahn und Politik?

Für Kirchner wäre ein Rückzug der Politik nur logisch. „Ein Aufsichtsrat hat die Aufgabe, im Interesse und zum Wohle des Unternehmens zu agieren. Doch wie sollte sich beispielsweise ein Aufsichtsrat, der Politik für die Grünen macht, bei strategischen Fragen zu Stuttgart 21 verhalten, wenn seine Partei dieses Projekt ablehnt“, fragt Kirchner. Oder ein liberaler Politiker, der Schienennetz und Betrieb am liebsten voneinander trennen wolle. „Politiker im Aufsichtsrat sind immer wieder mit unauflöslichen Interessenkonflikten konfrontiert.“

Auch Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft GDL, bezeichnet das Tohuwabohu der letzten Monate als „Katastrophe“. Die Uneinigkeit über einen Kandidaten für den Logistikvorstand führte dazu, dass auch der Bereich Technik und Digitalisierung unbesetzt blieb – obwohl es mit der Hochschulprofessorin Sabina Jeschke eine geeignete Kandidatin gab. „Der Vorsitzende eines Aufsichtsrates hat Sitzungen durchzuführen und Kandidaten durchzudrücken“, sagt Weselsky. Doch Aufsichtsratschef Felcht habe Termine immer wieder verschoben. „So darf man einen Aufsichtsrat nicht führen.

Für diesen Freitag ist ein neuer Anlauf geplant. Neben Jeschke soll Telekom-Personalchef Martin Seiler zum Nachfolger von Personalvorstand Ulrich Weber ernannt werden. Und der bisherige Deutschlandchef der britischen Bank Barclays, Alexander Doll, soll den Vorstandsposten Logistik und Güterverkehr übernehmen.

Das ist überraschend. Erst kürzlich präsentierte der Banker in den neuen Räumen der Bank im schicken Frankfurter Taunusturm die Wachstumspläne von Barclays. Doch Doll kennt die Deutsche Bahn und ihren Chef Lutz seit vielen Jahren. Seit Beginn seiner Karriere hat er sich auf die Logistikbranche spezialisiert, schon bei seinen früheren Arbeitgebern UBS und Lazard hat er den Konzern bei Finanzierungen und Transaktionen beraten. So tütete er etwa den Kauf des britischen Bahn- und Busunternehmens Arriva 2010 ein, auch beim letztlich gescheiterten Börsengang war er mit an Bord.

Mit Doll dürfte der Bahnchef einen Personalcoup landen, der den Streit im Aufsichtsrat endgültig beilegt. Der Banker zieht ohne Ballast nach Berlin. Daran ist der Jürgen Wilder gescheitert, den Lutz ursprünglich zum Logistikvorstand machen wollte. Wilder hatte mit einem harten Sparkurs bei der Güterbahntochter Arbeitnehmer und SPD-Politiker im Aufsichtsrat gegen sich aufgebracht.

Damit kann wieder über Wesentliches gesprochen werden. Weselsky fordert eine neue Bahnpolitik. „Die Infrastruktur muss aus der Gewinnmaximierung genommen werden.“ Das Netz könnte als gemeinnützige GmbH organisiert werden. Ein Masterplan Schieneninfrastruktur sei nötig, der klar definiert, wie die Eisenbahn in Deutschland gestärkt werden könne Es gehe nicht an, dass zu eng an der Strecke stehende Bäume den Bahnverkehr schon bei einem mittelschweren Sturm zusammenbrechen ließen. „Die Bahn muss jedem Sturm trotzen.“

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