Wenn Telekom-Chef Tim Höttges Grundsatzreden zur Zukunft des Internets halten will, dann reist er gerne nach Brüssel. Vor der Haustür der EU-Kommission die Probleme des europäischen Telekommunikationsmarktes offen anzusprechen und neue Lösungen vorzulegen, das ist für den Vorstandsvorsitzenden des größten europäischen Telekom-Konzerns eine Herzensangelegenheit.
So leidenschaftlich wie am Mittwoch hat der Telekom-Chef die für Digitales verantwortlichen EU-Kommissare aber noch nie wachgerüttelt. Mehr als eine Stunde nimmt sich Höttges Zeit, um auf dem vom europäischen Telekom-Dachverband Etno und der "Financial Times" veranstalteten Gipfeltreffen seinen Masterplan für eine digitale Wende in Europa vorzustellen.
Höttges prangert die Missstände auf dem bis heute völlig zersplitterten europäischen Kommunikationsmarkt hart an. "Europa steht an einem Wendepunkt", ruft der Telekom-Chef den Teilnehmern des Treffens zu. Im Plenum sitzt die EU-Kommissarin Mariya Gabriel und hört aufmerksam zu. Tiefrote Zahlen zitiert Höttges aus einer gerade veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung Accenture. Sie klingen wie eine Ohrfeige für die bisherige Politik der EU-Kommission.
Seit einem Jahrzehnt, berechnete Accenture, verliert der europäische Telekom-Sektor jeden Tag 100 Millionen Euro an disruptive Unternehmen aus den USA und Asien: Im Jahr 2006 machten die europäischen Telekom-Unternehmen einen operativen Gewinn (EBIT) in Höhe von 69 Milliarden Euro. 2016 waren es nur noch 32 Milliarden Euro. Höttges macht eine kurze Pause, um die Zahlen wirken lassen und hebt dann seine Stimme an: "Ein Minus von 49 Prozent."
Die Nutznießer waren die Telekom- und Internet-Konzerne auf den anderen Kontinenten. Das zeige auch ein zweiter Negativ-Trend: 2006 wurde noch ein Drittel des operativen Gewinns weltweit in Europa erwirtschaftet. Bis 2016 schrumpfte dieser Wert auf neun Prozent. Als Beleg schiebt Höttges noch die Vergleichszahlen aus den USA nach. Die Internet-Konzerne in den USA steigerten ihre digitale Wertschöpfung im gleichen Zeitraum um 181 Prozent. Der operative Gewinn explodierte von 78 Milliarden im Jahr 2006 auf 219 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.
Zahlen und Fakten zum Mobilfunk-Markt
Im vergangenen Jahr wurden rund 1,5 Milliarden Smartphones verkauft. Das war ein Wachstum von zwei bis fünf Prozent im Vergleich zu 2015 - die Berechnungen einzelner IT-Marktforscher weichen etwas voneinander ab.
Noch im Jahr davor war der Absatz um mehr als zehn Prozent gewachsen. Als zentrale Auslöser für die Abkühlung gelten die wirtschaftlichen Turbulenzen im größten Smartphone-Markt China sowie anderen Ländern wie Russland.
Samsung blieb auf das gesamte Jahr gerechnet der größte Smartphone-Anbieter mit einem Marktanteil von gut 20 Prozent, Apple ist die Nummer zwei mit knapp 15 Prozent.
Im Weihnachtsgeschäft wurden die Apple-Verkäufe aber vom iPhone 7 beflügelt und bei Samsung schlug das Batterie-Debakel beim Galaxy Note 7 auf den Absatz. Im Ergebnis schob sich Apple in dem Quartal mit 78,3 Millionen verkauften iPhones knapp an Samsung vorbei.
Anbieter aus China haben sich - vor allem dank der Größe des heimischen Marktes - weltweit in die Spitzengruppe vor. Die drei Hersteller Huawei, Oppo und BBK schließen nach Samsung und Apple die globale Top 5 ab und kamen zusammen auf gut 20 Prozent Marktanteil.
Bei den Smartphone-Betriebssystemen dominiert Googles Android-Software mit einem Marktanteil über 80 Prozent. Den Rest füllt weitgehend das iOS von Apples iPhones aus. Andere Betriebssysteme wie Windows Phone oder Blackberry OS sind inzwischen praktisch bei Null angekommen. Dabei wurde mit ihnen einst die Hoffnungen verbunden, dass sie zur starken Nummer drei im Markt werden könnten.
Im vergangenen Jahr gab es nach Berechnungen von Experten weltweit rund 7,4 Milliarden Mobilfunk-Anschlüsse. Zum Jahr 2020 dürfte ihre Zahl auf knapp 8,4 Milliarden ansteigen, prognostiziert der IT-Marktforscher Gartner.
"Jetzt überlegen Sie mal", fordert Höttges die EU-Kommissarin auf, "wer hat die höhere Finanzkraft für Investitionen?". Die Antwort liefert der Telekom-Chef gleich mit. Acht Milliarden Euro investiere die Telekom allein in diesem Jahr in Europa, das meiste davon in neue, schnellere Netze. "Das ist das größte Investitionsprogramm in unserer Geschichte", sagt Höttges. Dadurch stiegen die Schulden auf 55 Milliarden Euro. "Meine Kalkulation ist, dass wir das Geld zurück verdienen werden." Doch richtig sicher ist sich Höttges offenbar nicht. "Wer kann heute noch kalkulieren?" fragt er in die Runde : "Tun Sie Europa einen Gefallen und machen Sie die Dinge besser kalkulierbar. Ich möchte mein Geld zurück. Und ich möchte einen fairen Anteil an der Wertschöpfung."
Die digitale Agenda der EU-Kommission sollte deshalb das Ziel verfolgen, dass der weltweite Umsatzanteil der europäischen Telekom-Konzerne wieder auf 33 Prozent steigt. "Jetzt machen wir neun Prozent. Das ist nicht fair", schimpft Höttges.
5 Grundsätze
Die Lösung kann seiner Meinung nur ein "Pakt für Digitalisierung", der fünf Grundsätzen folgen sollte:
1. Denken wir nicht zu kompliziert. Je einfacher der Rechtsrahmen für den Telekommunikationsmarkt, umso besser.
2. Wir brauchen viel mehr Deregulierung für unsere Netzinfrastrukturen. Der Markt wird es dann schon richten und mehr Anreize für Investitionen schaffen.
3. Je mehr Funkfrequenzen wir bekommen, umso besser. Die USA fluten gerade den Mobilfunkmarkt mit zusätzlichem Frequenzspektrum. Dem Beispiel sollte Europa folgen.
4. Die Datenschutz-Richtlinien müssen einfacher werden. Präzise Positionsdaten, die via GPS von Apps genutzt werden, sind weniger strikt reguliert als die nicht so präzisen Positionsdaten, die Mobilfunkbetreiber von ihren Funkmasten bekommen.
5. Puschen wir neue Anwendungsfälle. Die Regierungen sollten mit Leuchtturm-Projekten voran gehen.
Für Telekom-Chef Höttges ist der Weg damit klar: Wenn die EU-Kommission auf solch einen Pakt eingeht, dann könnte Europa in den nächsten zehn Jahren wieder zur alten Stärke zurückfinden.