Deutsche Telekom Tim Höttges rechnet mit der EU-Kommission ab

Telekom-Chef Tim Höttges rüttelt die EU-Kommissare wach: Jeden Tag verlören die Internet-Unternehmen in Europa 100 Millionen an die Giganten in den USA und Asien. Was sich laut Höttges ändern muss.

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Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom Timotheus Höttges. Quelle: dpa

Wenn Telekom-Chef Tim Höttges Grundsatzreden zur Zukunft des Internets halten will, dann reist er gerne nach Brüssel. Vor der Haustür der EU-Kommission die Probleme des europäischen Telekommunikationsmarktes offen anzusprechen und neue Lösungen vorzulegen, das ist für den Vorstandsvorsitzenden des größten europäischen Telekom-Konzerns eine Herzensangelegenheit.
So leidenschaftlich wie am Mittwoch hat der Telekom-Chef die für Digitales verantwortlichen EU-Kommissare aber noch nie wachgerüttelt. Mehr als eine Stunde nimmt sich Höttges Zeit, um auf dem vom europäischen Telekom-Dachverband Etno und der "Financial Times" veranstalteten Gipfeltreffen seinen Masterplan für eine digitale Wende in Europa vorzustellen.
Höttges prangert die Missstände auf dem bis heute völlig zersplitterten europäischen Kommunikationsmarkt hart an. "Europa steht an einem Wendepunkt", ruft der Telekom-Chef den Teilnehmern des Treffens zu. Im Plenum sitzt die EU-Kommissarin Mariya Gabriel und hört aufmerksam zu. Tiefrote Zahlen zitiert Höttges aus einer gerade veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung Accenture. Sie klingen wie eine Ohrfeige für die bisherige Politik der EU-Kommission.


Seit einem Jahrzehnt, berechnete Accenture, verliert der europäische Telekom-Sektor jeden Tag 100 Millionen Euro an disruptive Unternehmen aus den USA und Asien: Im Jahr 2006 machten die europäischen Telekom-Unternehmen einen operativen Gewinn (EBIT) in Höhe von 69 Milliarden Euro. 2016 waren es nur noch 32 Milliarden Euro. Höttges macht eine kurze Pause, um die Zahlen wirken lassen und hebt dann seine Stimme an: "Ein Minus von 49 Prozent."

Die Nutznießer waren die Telekom- und Internet-Konzerne auf den anderen Kontinenten. Das zeige auch ein zweiter Negativ-Trend: 2006 wurde noch ein Drittel des operativen Gewinns weltweit in Europa erwirtschaftet. Bis 2016 schrumpfte dieser Wert auf neun Prozent. Als Beleg schiebt Höttges noch die Vergleichszahlen aus den USA nach. Die Internet-Konzerne in den USA steigerten ihre digitale Wertschöpfung im gleichen Zeitraum um 181 Prozent. Der operative Gewinn explodierte von 78 Milliarden im Jahr 2006 auf 219 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.

Zahlen und Fakten zum Mobilfunk-Markt


"Jetzt überlegen Sie mal", fordert Höttges die EU-Kommissarin auf, "wer hat die höhere Finanzkraft für Investitionen?". Die Antwort liefert der Telekom-Chef gleich mit. Acht Milliarden Euro investiere die Telekom allein in diesem Jahr in Europa, das meiste davon in neue, schnellere Netze. "Das ist das größte Investitionsprogramm in unserer Geschichte", sagt Höttges. Dadurch stiegen die Schulden auf 55 Milliarden Euro. "Meine Kalkulation ist, dass wir das Geld zurück verdienen werden." Doch richtig sicher ist sich Höttges offenbar nicht. "Wer kann heute noch kalkulieren?" fragt er in die Runde : "Tun Sie Europa einen Gefallen und machen Sie die Dinge besser kalkulierbar. Ich möchte mein Geld zurück. Und ich möchte einen fairen Anteil an der Wertschöpfung."

Die digitale Agenda der EU-Kommission sollte deshalb das Ziel verfolgen, dass der weltweite Umsatzanteil der europäischen Telekom-Konzerne wieder auf 33 Prozent steigt. "Jetzt machen wir neun Prozent. Das ist nicht fair", schimpft Höttges.

5 Grundsätze

Die Lösung kann seiner Meinung nur ein "Pakt für Digitalisierung", der fünf Grundsätzen folgen sollte:

1. Denken wir nicht zu kompliziert. Je einfacher der Rechtsrahmen für den Telekommunikationsmarkt, umso besser.

2. Wir brauchen viel mehr Deregulierung für unsere Netzinfrastrukturen. Der Markt wird es dann schon richten und mehr Anreize für Investitionen schaffen.

3. Je mehr Funkfrequenzen wir bekommen, umso besser. Die USA fluten gerade den Mobilfunkmarkt mit zusätzlichem Frequenzspektrum. Dem Beispiel sollte Europa folgen.

4. Die Datenschutz-Richtlinien müssen einfacher werden. Präzise Positionsdaten, die via GPS von Apps genutzt werden, sind weniger strikt reguliert als die nicht so präzisen Positionsdaten, die Mobilfunkbetreiber von ihren Funkmasten bekommen.
5. Puschen wir neue Anwendungsfälle. Die Regierungen sollten mit Leuchtturm-Projekten voran gehen.

Für Telekom-Chef Höttges ist der Weg damit klar: Wenn die EU-Kommission auf solch einen Pakt eingeht, dann könnte Europa in den nächsten zehn Jahren wieder zur alten Stärke zurückfinden.

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