Claudia Schneider* hat einen stressigen Job und wenig Zeit zu kochen. Tiefkühlpizza und Fertiggerichte aber kann sie nicht mehr sehen. Eine Freundin erzählte ihr von der Küchenmaschine Thermomix von Vorwerk: ein Topf, ein Messer und zwölf Funktionen vom Schneiden, Wiegen, Mixen bis zum Dampfgaren – digital gesteuert per Rezeptchip. Doch im Düsseldorfer Vorwerk-Laden fand Schneider nur Staubsauger. Sie musste eine der weltweit 34.500 „Thermomix-Feen“ zu sich nach Hause bestellen.
Die Beraterin veranstaltete für die Angestellte und drei Freundinnen ein „Erlebniskochen“. „Ratzfatz hat sie ein Vier-Gänge-Menü zubereitet: Hefezopfteig, Tomatensuppe, Brokkolisalat und Eis – alles aus einer Maschine“, war Schneider beeindruckt. Der Wermutstropfen: Mehr als drei Monate dauert es, bis ihr Thermomix geliefert wird. Das ärgert die Kundin gewaltig: „Aber bis dahin habe ich vielleicht den stolzen Preis von 1.109 Euro zusammengespart.“
So sind deutsche Küchen
1,2 Millionen Küchen werden jährlich in Deutschland verkauft. Und die Hersteller verdienen gut an ihnen. Mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz machte die Branche laut der Arbeitsgemeinschaft Moderne Küche 2013 in Deutschland.
Den Großteil des Umsatzes macht die deutsche Küchenindustrie im Inland: 6,03 Milliarden Euro allein im Jahr 2013 (Vorjahr: 5,95 Mrd). Auch im Ausland kommen die deutschen Küchen gut an: Die Hersteller exportierten zuletzt Waren im Wert von rund 4,01 Milliarden Euro. Laut Branchenkennern entwickelt sich insbesondere China zu einem wichtigen Absatzmarkt, weil moderne Einbauküchen europäischer Prägung dort ein Statussymbol sein.
Laut den Konsumforschern der Gfk legte der Durchschnittspreis für Küchen bei Einrichtungshäusern und dem Küchenfachhandel (ohne Discounter) innerhalb von vier Jahren um mehr als 800 Euro zu. 2009 kostet die Durchschnittsküche 6.429 Euro. 2013 schon 7.243 Euro. Kochbegeisterte geben aber auch 30.000 Euro und mehr für eine Küche aus.
Die Küche läuft dem Auto als Statussymbol den Rang ab. Das hat zumindest eine Umfrage des Zukunftsinstituts im Auftrag von Siemens ergeben. 57 Prozent der Befragten gaben demnach an, dass ihnen eine "tolle Küche" wichtig ist. Nur 29 Prozent nannten das Auto und noch weniger Hi-Fi-/Videoanlagen (acht Prozent) und Smartphones und Tablets (sieben Prozent).
„Mit dem neuen digitalen Thermomix trifft Vorwerk den Zeitgeist“, ist Jörg Funder, Professor für Handels- und Distributionsmanagement in Worms, überzeugt. „Convenience wird immer wichtiger. Kochen muss heute gesund, lecker und vor allem easy sein.“ Das „iPhone unter den Küchenmaschinen“ ist zum Statussymbol in der Küche avanciert. Kenner fachsimpeln über den Motor mit 10.700 Umdrehungen pro Minute. Dass die Maschine einen Höllenlärm macht, scheint die wenigsten zu stören.
Alle 30 Sekunden wird auf der Welt ein Thermomix verkauft, einzig per Direktvertrieb über Kochpartys. „Die Neukundenquote beim Thermomix ist extrem hoch“, freut sich Reiner Strecker, persönlich haftender Gesellschafter von Vorwerk. In Portugal haben sogar schon 40 Prozent aller Haushalte einen „Bimby“, wie er dort heißt.
Lange Wartezeiten aufs Kultobjekt
Im September hatte Vorwerk völlig überraschend nach zehn Jahren den runderneuerten digitalen Thermomix TM5 auf den Markt gebracht – ganz ohne Vorankündigung. In der Fangemeinde brach ein Shitstorm los. Viele, die gerade ein Gerät gekauft hatten, fühlten sich hinters Licht geführt, zumal Vorwerk selbst das Modell als „Revolution in der Küche“ anpreist. Die Vorwerk-Versuchsküche erfindet Rezepte, die sich im Gerät speichern lassen. Beim „Guided Cooking“ sind Zeit und Temperatur für jeden Arbeitsschritt automatisch eingestellt. Per App kommt bereits eine Einkaufsliste aufs Handy. Und irgendwann soll sich der Thermomix mit dem Kühlschrank und anderen Haushaltsgeräten vernetzen und fernsteuern lassen.
Die langen Wartezeiten auf das Kultobjekt resultieren nicht etwa aus künstlicher Verknappung. Trotz 24-Stunden-Schichten kommt Vorwerk mit der Produktion einfach nicht hinterher. „Die Nachfrage ist riesig und hat uns ziemlich überrascht“, räumt Vorwerk ein. Dabei hat das Familienunternehmen, 1883 als Barmer Teppichfabrik Vorwerk & Co. gegründet, erst kürzlich die Kapazitäten am Stammsitz Wuppertal und in Frankreich erweitert. Dort wird weiter ausgebaut. In einem halben Jahr, so verspricht Strecker, soll es hierzulande kaum noch Wartezeiten geben. In zwei Jahren soll die Produktion gar auf zwei Millionen Thermomix im Jahr verdoppelt werden.
Dank des Thermomix-Booms hat Vorwerk seine Umsatzkrise endgültig überwunden. 2014 wurden weltweit so viele Thermomixe verkauft wie nie zuvor, ein Plus von 15 Prozent auf 920 Millionen Euro. Das gab Vorwerk am Donnerstag bekannt. Damit überholte die Küchenmaschine erstmals den Staubsauger Kobold als Haupterlösquelle von Vorwerk. Der Umsatz mit dem Kobold wuchs ebenfalls, aber „nur“ um knapp fünf Prozent auf 898 Millionen Euro. Beide Kultprodukte erwirtschaften rund ein Drittel des Umsatzes. Vorwerk fuhr 2014 einen Rekordumsatz von 2,8 Milliarden Euro ein, ein Plus von 5,8 Prozent zum Vorjahr. 2015 hat noch besser begonnen.