Werner knallhart

Dank DHL und Hermes kennen viele erst ihre Nachbarn

Wer in der Großstadt wüsste schon, wer im Hochhaus gegenüber wohnt, würde er von DHL & Co nicht unfreiwillig rübergeschickt? Eilige Paketboten, die Online-Bestellungen sonstwo abliefern, fördern die Nachbarschaft.

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Quelle: obs

Die Scheibe der Eingangstür zu unserem Mehrfamilienhaus in Berlin ist vollgesaut mit den Resten von Zustell-Info-Zetteln. Die Paket-Boten behelfen sich da teilweise mit Klebstoffen, die derartig hartnäckig sind, dass beim Abnehmen der Karten Papierfetzen für Monate am Glas hängenbleiben.

Was eigentlich schäbig aussieht, sind die Spuren nachbarschaftlicher Annäherung. Fast jeden zweiten Tag hängt da so ein Zettel:

Leider haben wir Sie nicht angetroffen. Unser Zusteller hat Ihre Lieferung stattdessen bei Ihren Nachbarn abgegeben.

Oder so ähnlich. Und dann steht da mit Kuli in ein Freifeld der blau-weißen Karte reingekritzelt irgendwas, das bei genauerem Hinsehen aussieht wie Schrift:

Adressat: W-e-r-u-e-r. Soll sicher Werner heißen.

Dann der Name des Nachbarn. Oh, Gott:

P. Dann entweder ein ö oder ein ä. Dann h oder l plus n, dann noch ein l, dann maun, wahrscheinlich mann. Aha! Pöhlmann, oder halt Pählmann. So soll einer unserer Nachbarn heißen?

Bevor der Postmann zwei Mal klingelt
Paketzusteller Quelle: dpa
Paketshops Quelle: dapd
Hermes Quelle: dpa
UPS-Paketshop Quelle: dpa
DHL-Packstation Quelle: dpa
Amazon Packstation Quelle: dpa
Paketkästen Quelle: dpa

Das wäre mir neu, aber das wäre wiederum nichts Neues, denn in unserem Haus wohnen geschätzte 13 Parteien, von denen pro Jahr gefühlt rund zwei wechseln und eine Wohnung ist, glaube ich, sowieso Airbnb. Und dann mein Namengedächtnis. Den einzigen Namen, den ich mir im Haus gut merken kann, ist Werner.

Ich trete vors Klingelschild. Vor mir rund 20 Namen (weil viele Klingeln zwei Namen tragen). Pöhlmann, Pählmann, Pöhlmann, Pählmann: nix. Ach so, die eingetragene Hausnummer: So hurtig, wie die geschrieben war, ist alles möglich von 63a/e/o bis 68 und 69a/e/o.

Das bedeutet: Der Hermes-Bote ist Verfechter des erweiterten Nachbarschafts-Begriffs. Verdammt! Dieser Definition nach fällt alles unter den Begriff des Nachbarn, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, wenn der Bote sich umblickt. Man kann schon froh sein, wenn er das Paket nicht ins offene Seitenfenster eines am Straßenrand haltenden Taxis pfeffert und die Autonummer notiert.

Zur erweiterten Nachbarschaft gehören zum Beispiel:
a.     Menschen, die in Wohnanlagen leben, die fußläufig im strammem Marsch innerhalb von zwei Minuten zu erreichen sind
b.     Mitarbeiter von Kiosken in der Nähe
c.     Erzieher in Kindertagesstätten

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