Zehn Jahre offener Gasmarkt Verbraucher sind zu träge zum Sparen

Vor zehn Jahren zwang das Bundeskartellamt die großen Gaskonzerne zur Öffnung ihrer Netze. Seitdem ist der Wechsel des Anbieters wesentlich leichter geworden. Aber die Kunden nutzen die Chance zum Geldsparen selten.

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Offener Gasmarkt Quelle: dpa

Vor zehn Jahren packte das Bundeskartellamt die Keule gegen die deutschen Gasversorger aus: Nach drastischen Preiserhöhungen bestehe der Verdacht des Marktmissbrauchs, schrieb die Behörde im Februar 2006 an sieben Große der Branche. Die Unternehmen mussten den Verbrauchern zum 1. April 2006 die Möglichkeit zum Anbieterwechsel einräumen, die bis dahin außer bei Umzügen praktisch nicht bestanden hatte. Die Liberalisierung des deutschen Gasmarktes hatte begonnen.

Zehn Jahre danach ist der Markt deutlich gewachsen, es gibt inzwischen über 900 Gasanbieter. Doch am Problem des geringen Wettbewerbsdrucks hat sich eher wenig geändert.

Nicht einmal jeder zehnte Gaskunde nutzte nach der jüngsten Erhebung von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur 2014 die Möglichkeit zum Anbieterwechsel - und damit in vielen Fällen eine Chance zum Geldsparen. Rechnet man die Umzüge heraus, ist die Netto-Zahl der Anbieterwechsel mit rund 805.000 im Vorjahresvergleich sogar rückläufig.

Fast jeder vierte deutsche Gaskunde ist laut der Erhebung nach wie vor im besonders teuren Grundversorgungsvertrag, weniger als ein Fünftel werden von einem anderen als dem örtlichen Grundversorger beliefert - und das, obwohl sich in den zehn Jahren die Preisunterschiede vervielfacht haben.

Lag der Unterschied zwischen dem teuersten und dem günstigsten Gasversorgungsangebot 2006 noch bei nur rund 60 Euro für den Durchschnittshaushalt, so beträgt er aktuell laut dem Preisvergleichsportal Verivox in der Spitze mehr als 600 Euro im Jahr. Bis zu 1468 Euro sind 2016 im Grundversorgungstarif zu zahlen, 849 Euro verlangt der günstigste Anbieter inklusive Wechselbonus.

Heute sind laut Bundeskartellamt in den meisten Gebieten inzwischen mehr als 50 konkurrierende Gasanbieter aktiv. Das könnte deutlich mehr Druck auf die Preise ausüben - wenn die Verbraucher ihn nur nutzen würden. „Wir haben auf anderen Märkten gesehen, dass der Preisdruck auf Anbieter wächst, wenn viele Verbraucher bewusst von ihren Auswahlmöglichkeiten Gebrauch machen“, sagt Kartellamtschef Andreas Mundt auf Anfrage. „Die örtlichen Grundversorger senken selten ihre Preise, weil immer noch verhältnismäßig wenig Kunden wechseln“, kritisiert die Grünen-Umweltpolitikerin Bärbel Höhn.

Trägheit oder irrationale Angst vor einer - gesetzlich ausgeschlossenen - Gas-Abschaltung und damit kalter Wohnung? Die Branche rätselt selbst, woher die Wechsel-Unwilligkeit der Gaskunden kommt.

Die Anbieter profitieren jedenfalls. 1,3 Milliarden Euro hätten die Gasversorger 2015 zusätzlich eingenommen, weil sie stark gesunkene Beschaffungskosten nicht an die Haushaltskunden weitergegeben hätten, stellte der Hamburger Energieexperte Steffen Bukold Ende 2015 in einer Studie im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion fest. Im Mittel seien jedem Haushalt damit 132 Euro Ersparnis entgangen.

Der Stadtwerke-Verband VKU wehrt sich vor allem gegen die Kritik an den Grundversorgungstarifen. Sie seien mit einer kurzen Kündigungsfrist von 14 Tagen verbunden, daher müssten die Versorger ihr Gas auch kurzfristig und damit oft teurer beschaffen, erklärt ein Sprecher. An der großen Auswahl für den Verbraucher hätten gerade die Stadtwerke mit ihren Angeboten einen erheblichen Anteil. Der Gaspreis an der Börse habe einen relativ geringen Einfluss auf den Endkundentarif - zahlreiche Abgaben und Steuern kämen hinzu.

Wo der Strom herkommt
BraunkohleNoch immer der mit Abstand bedeutendste Energieträger Deutschlands: Im Jahr 2013 ist die klimaschädliche Stromproduktion aus Braunkohle auf den höchsten Wert seit 1990 geklettert. Mit 162 Milliarden Kilowattstunden macht der Strom aus Braunkohlekraftwerken mehr als 25 Prozent des deutschen Stroms aus. Das geht aus vorläufigen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen hervor. Quelle: dpa
SteinkohleAuch die Stromproduktion in Steinkohlekraftwerken stieg im Jahr 2013 – um 8 Milliarden auf mehr als 124 Milliarden Kilowattstunden. Damit ist Steinkohle der zweitwichtigste Energieträger und deckt fast 20 Prozent der deutschen Stromproduktion ab. Vor allem Braun- und Steinkohle fangen also offenbar den Rückgang der Kernenergie auf. Quelle: dpa
Kernenergie Die Abschaltung von acht Atomkraftwerken macht sich bemerkbar. Nur noch 97 Milliarden Kilowattstunden stammten 2013 aus Kernerenergie, drei weniger als im Vorjahr. Das sind allerdings noch immer 15 Prozent der gesamten Produktion. Damit ist Atomstrom nach wie vor die drittgrößte Energiequelle. Quelle: dpa
ErdgasDie CO2-arme Erdgasverbrennung ist - anders als Kohle - wieder rückläufig. Statt 76 Milliarden kamen im vergangenen Jahr nur noch 66 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Erdgaskraftwerken. Das sind gerade mal zehn Prozent der Stromproduktion. Dabei war Erdgas vor drei Jahren schon einmal bei 14 Prozent. Quelle: dpa
WindkraftDer größte erneuerbare Energieträger ist die Windkraft. Mit 49,8 Milliarden Kilowattstunden in 2013 ist sie allerdings leicht Rückläufig. Insgesamt steigt der Anteil der erneuerbaren Energien jedoch stetig. Zusammengenommen produzierten sie 23,4 Prozent des deutschen Stroms. Quelle: dpa
BiomasseFast genauso viel Strom wie aus Windkraft stammte aus Biomasse. Die Produktion stieg auf 42 Milliarden Kilowattstunden. Damit steht Biomasse auf Platz sechs der bedeutendsten Energieträger. Quelle: ZB
PhotovoltaikEs reicht zwar nur für knapp fünf Prozent der deutschen Stromproduktion, aber Solarenergie ist die mit Abstand am schnellsten wachsende Energieform. Im Jahr 2000 gab es in Deutschland noch gar keinen Sonnenstrom. Und seit 2007 hat sich die Produktion auf 28,3 Milliarden Kilowattstunden in 2013 beinahe verzehnfacht. Quelle: dpa

Verbraucherschützer überzeugen diese bekannten Argumente nicht. „Viele Gasversorger setzen auf die Unwissenheit oder Trägheit ihrer Kunden“, kritisiert Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) forderte Ende 2015 sogar einen kritischen Blick der Bundesbehörden auf die Gaspreisgestaltung.

Das wäre aber ein Bärendienst für die Verbraucher, sagt der Kartellamtschef: „Eine Deckelung der Gaspreise über die Missbrauchsaufsicht würde die Bemühungen von alternativen Gaslieferanten, Kunden über günstigere Preise zum Wechsel zu bewegen, wieder erlahmen lassen“, sagt Mundt.

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