Der Moment, in dem Apotheker Michael Grintz die Vorzüge von Amazon einmal wieder bewusst werden, ist der, als die Lampe kaputt geht. Es ist Silvester, seine ganze Familie hat sich zum gemeinsamen Fondue versammelt. Der Käse ist schon zu einer zähfließenden Masse verschmolzen. Doch ohne die Lampe über dem Tisch ist der Raum nun so dunkel, dass Fleisch und Brot nicht mehr wirklich gut zu erkennen sind. Es ist kurz vor acht Uhr, da haben auch in München die meisten Supermärkte geschlossen. „Woher bekomme ich jetzt eine neue Glühbirne?“, fragt sich Grintz.
Keine Stunde später klingelt es an der Tür, die Glühbirne ist da. Gebracht hat sie ein Bote von Amazon Prime Now. So heißt der Dienst, mit dem Amazon in Deutschland in München und in Berlin von Wasserflaschen über Alkohol, von neuen Glühbirnen über Fertigpizza ein breites Sortiment innerhalb einer Stunde liefert. 6,99 Euro kostet die Blitzlieferung, oder aber der Kunde sucht sich die Zustellung in einem Zeitfenster von zwei Stunden aus.
Willkommen in der neuen Gegenwart des Einkaufens. Schon als Grintz die Gerüchte über Prime Now hörte, wusste er: Da will ich auch mit meiner Apotheke dabei sein.
Amazon will den Kunden zur obersten Priorität machen, all seine Wünsche erfüllen, noch bevor er sie gedacht hat. "Obsessiver Fokus auf den Kunden", nennt Amazon-Gründer Jeff Bezos diese Strategie. Spricht man mit Michael Grintz, bekommt man das Gefühl, dass Amazon dieser Anspruch oft gelingt. Es scheint auf jeden Fall einer der Gründe zu sein, warum der Konzern so gewachsen ist. 136 Milliarden Dollar Umsatz machte Amazon im vergangenen Jahr, fast dreißig Prozent mehr als im Vorjahr. Alleine in Deutschland sollen es 15 Milliarden Dollar sein, schätzen Experten. Offizielle Zahlen gibt es nicht.
Die wichtigsten Käufe von Amazon
Auf den ersten Blick gibt es keinen Zusammenhang zwischen einer Shoppingplattform aus Dubai und dem Hersteller von Robotern. Doch alle gehören zu Amazons Reich, das wegen der verschiedenen Art seiner Unternehmungen kaum zu greifen ist. Die wichtigsten Beispiele für Verkäufe in der Vergangenheit.
Preis: 0,15 Milliarden Dollar
Branche: Buchbesprechungen
Jahr: 2013
Quelle: eigene Recherche
Preis: 0,25 Milliarden Dollar
Branche: Suche, künstliche Intelligenz
Jahr: 1999
Preis: 0,30 Milliarden Dollar
Branche: Hörbücher
Jahr: 2008
Preis: 0,37 Milliarden Dollar
Branche: Halbleiter, Chipdesign
Jahr: 2015
Preis: 0,50 Milliarden Dollar
Branche: Cloud Computing
Jahr: 2015
Preis: 0,55 Milliarden Dollar
Branche: Windeln, Seife
Jahr: 2010
Preis: 0,65 Milliarden Dollar
Branche: Das Amazon des Mittleren Ostens
Jahr: 2017
Preis: 0,78 Milliarden Dollar
Branche: Robotik
Jahr: 2012
Preis: 0,97 Milliarden Dollar
Branche: Onlinevideospiele
Jahr: 2014
Preis: 1,20 Milliarden Dollar
Branche: Schuhe
Jahr: 2009
Preis: 13,70 Milliarden Dollar
Branche: Lebensmittel
Jahr: 2017
Das Reich wächst, immer wieder, immer weiter. Für Jeff Bezos ist keine Idee zu groß gedacht. Erst vor wenigen Wochen startete Amazon hierzulande mit seinem Lebensmittel-Lieferdienst Amazon Fresh. In den USA haben Bezos und seine Mannschaft gerade die Bio-Supermarktkette Whole Foods aufgekauft, für den Rekordpreis von 13,7 Milliarden Dollar. Die Filialen von Whole Foods könnten die Basis sein für viele weitere Amazon-Projekte. Allein der Gedanke daran treibt den Einzelhändlern in den USA und dem Rest der Welt bereits Schweißperlen in die Gesichter.
Oft genug hat Amazon mit seinen Angriffen eine Branche innerhalb von wenigen Monaten verändert. Und es stehen noch mehr Angriffe bevor: auf Apotheker, auf den Autohandel, auf die Logistik. Amazon will zum Konzern werden, der wirklich alles liefern kann. Und das möglichst schnell. Doch es gibt nur wenige Unternehmen, die davon profitieren. Aber viele, deren Geschäft darunter leidet.