Sonnenschutz kurz vor Sommeranfang, Schreibwaren zum Beginn des Schuljahres und Skiklamotten im November, rechtzeitig zum Start der Skisaison – längst haben wir uns daran gewöhnt, dass es zur richtigen Zeit auch das passende Angebot im Discounter gibt. Ein Discounter-Fan beobachtet das ziemlich genau: Matthias Kövér betreibt das discounter-archiv.de. Auf dieser Webseite sammelt der selbstständige Programmierer die Sonderangebote von Aldi Nord, Aldi Süd, Lidl und Norma, teilweise schon seit 1999.
„Ich habe vorher schon eine Seite gebaut, die sich mit Aldi beschäftigt hat“, erzählt der Kölner „Dort konnten Kunden eintragen, in welcher Filiale der Kunde rechts oder links herum zur Kasse geht. Damals haben sich erstaunlich viele Internet-Surfer daran beteiligt.“ Der Erfolg brachte ihn dazu, den größten Discounter in Deutschland genauer zu beobachten. Dabei fiel ihm auf, dass sich dessen Angebote in schöner Regelmäßigkeit wiederholten. So fing Kövér an, Informationen zu Aktionswaren zu sammeln, mit denen er den Angebotsrhythmus aufzeigen kann. Mittlerweile hat er seine Webseite um die Promotions von Lidl und Norma ergänzt. Seine Datensammlung hält er für so groß und solide, dass er sich auch Aussagen über die kommenden Angebote zutraut. Auf seiner Webseite nennt er das „Aldi-Orakel“. Hier zeigt er, basierend auf den Daten über Sonderangebote der vergangenen Jahre, welche Artikel voraussichtlich an den nächsten vier Aktionstagen in die Filialen bringt.
Warum Aldi billig ist
Es ist eine Gretchenfrage: Wie viele Artikel biete ich meinen Kunden an? 1946 ging es um nichts mehr als ums Sattwerden. Die Aldi-Brüder schauten auf ihren Tages- und Wocheneinkauf. Erst im Laufe der Jahre kamen Non-Food-Artikel hinzu – anfangs waren sie verpönt.
Mit der Zeit pendelte man sich bei 400 Artikeln ein. Inzwischen – in Zeiten der feiner werdenden Nuancen – ist die Zahl auf über 900 Basisartikel gewachsen. Der Stellplatz in den Filialen hat natürliche Grenzen. Zudem ist Produktpflege ein aufwändiges Geschäft.
Von Beginn an galt bei den Albrechts das Gebot der Warengleichheit: In allen Filialen sollten die Kunden dieselben Produkte finden. Schnell ging es soweit, dass sie es sogar an derselben Stelle fanden.
Eine echte Revolution war die Einführung von Kühlware in den Siebzigerjahren. Sowohl bei Aldi Nord als auch bei Aldi Süd gingen Grundsatz-Diskussionen voraus. Entgegen der Behauptungen gab es darüber aber keinen brüderlichen Zwist. Allerdings musste der vorpreschende Karl Überzeugungsarbeit leisten beim abwägenden Theo. Doch die Kühltruhe kam, erst im Kleinformat, dann immer mehr.
Seit Jahren macht andere Discounter wie Netto (vorher Plus) gute Geschäfte mit Markenartikeln. Aldi hat stets eine Aversion gegen sie gehabt - gab inzwischen aber nach. Auf der anderen Seite taten sich die Hersteller von Markenartikeln anfangs auch sehr schwer, bei einer Billigkette zu listen, als die Aldi galt.
Vereinfacht gesagt besteht Aldis größtes Problem darin, die erforderlichen Liefermengen von mehreren Anbietern zu beziehen. Bei vergleichenden Qualitätsstandards heißt es immer wieder: Bedarfsdeckung versus Preis. Gerade zu Ostern und Weihnachten ist es eine Sisyphusarbeit in Planung und Organisation, für ausreichend Waren zu sorgen und sie auf die Filialen zu verteilen.
Die Preisfindung in diesem „Wettkampf“ ist das eigentliche Erfolgsrezept Aldis. Als Marktführer, ausgestattet mit dem Hebel der Mengenmacht, hat man hier natürlich Vorteile. Dabei bündeln Aldi Nord und Aldi Süd ihre Einkaufsstrategie in vielen Sortimenten. Auf der anderen Seite hat Aldi auch kein Interesse, die Lieferanten so sehr zu schröpfen, dass sie in den Ruin gehen.
Lieferanten unterliegen leicht der großen Verlockung, mit Aldi so zu verhandeln, dass die eigentlichen Kapazitätsgrenzen überschritten werden. Zwar kann man mit Aldi vermögend werden, aber das Risiko, sich zu sehr abhängig zu machen, ist groß. Denn Aldi streicht durchaus schnell einen Lieferanten. Fachleute raten dazu, maximal 50 Prozent seiner Produkte an Aldi zu verkaufen.
Die Wettbewerber sind dem Preisdiktat ausgesetzt. In den vergangenen Jahres war gut zu beobachten, was passiert, wenn Aldi die Preise für Alltagsprodukte wie Milch senkte: Die Konkurrenz zog innerhalb weniger Stunden nach. Preisvergleich und Preispolitik sind Tagesaufgaben.
Doch warum agieren die Discounter eigentlich so nah am „gerechten Preis“? Die Frage ist durchaus berechtigt, denn die Durchschnittskunde ist eigentlich sehr wenig mit den Preisen vertraut. Er stellt seinen Warenkorb den Bedürfnissen und Gepflogenheiten zusammen. Die meisten gehen nicht mit offenen Augen durch die Läden. Angebote werden auch bei Aldi sehr deutlich mit andersfarbigen Schildern gekennzeichnet, damit sie überhaupt auffallen. Umso wichtiger ist also, dauerhaft der Preisführer zu sein – und dieses Image zu pflegen.
Egal wie günstig ein Produkt ist – die Qualität muss stimmen: Aldi testet wie auch die anderen Discounter ständig seine aktuellen und auch mögliche neuen Produkte. Zudem nützt das tollste Sonderangebot nichts, wenn es um 11 Uhr ausverkauft ist.
Kein Produkt hat bei Aldi eine Existenzgarantie. Jeder Lieferant ist austauschbar. Und das lässt Aldi seine Partner ganz genau wissen. Es herrscht rigorose Preiskontrolle vom Einkauf bis zum Verkauf. Der Kunde entscheidet. Nimmt er ein Produkt nicht (mehr) an, fliegt es aus dem Sortiment. Das gilt besonders für Sonderverkäufe. Schlagen sie nicht ein, bekommen sie keine zweite Chance.
Im Fachjargon heißen sie Zugartikel, die Produkte, an denen Aldi praktisch nichts verdient. Die Marge liegt nahe null, aber sie sind dennoch sehr wichtig. Denn sie locken Kunden in den Laden. Und die Kunden kaufen dann eben auch andere Produkte, wo die Margen entsprechend höher liegen. Die sogenannte Quermarge stimmt also auch bei Zugprodukten.
Regale sind das eine, Vorstelltische das andere. Bei Aldi haben sie eine sehr hohe Bedeutung. Reste gehen hier rasant weg.
Der Filialleiter hat die wesentliche Aufgabe, sein Personal geschickt einzuspannen. Aldi näht hier auf Kante, sprich: Die Personaldecke ist extrem eng. Im Krankheitsfall bricht rasch der Notstand aus, wenn nicht umgehend Ersatz zur Hand ist: verdreckte Böden, unsortierte Regale, Schlangen an den Kassen. Entsprechend sind Filialleiter entscheidende „Produktchefs“ und es gelten hohe Standards.
Heute, in Zeiten der Piep-Piep-Kassen, ist es nicht mehr so wichtig: Aber groß geworden ist Aldi auch wegen einer vermeintlich selbstverständlichen Eigenschaft der Kassiererinnen und Kassierer: Sie kannten die Preise der Produkte auswendig und konnten sie blitzschnell in die Kasse eingeben.
Die Logistik dahinter ist alles andere als einfach: Wie bekommt man all die hohen Bargeldsummen, die sich in den Kassen auftürmen, sicher zur Bank? Das ist die eine Frage, die Discounter wie Aldi lösen müssen. Die andere ist, wie man die Liquidität möglichst schnell reinvestiert. Bei einer Umschlaggeschwindigkeit der Waren von 8,5 Tagen und einem Zahlungsziel von 14 Tagen gegenüber dem Lieferanten ist die Ware nahezu zweimal verkauft, ehe sie einmal zu bezahlen ist. Und das mit zwei Prozent Skonto.
Wohin also mit dem Geld? Die erste Antwort lautet: Nicht mehr mieten, sondern kaufen – also die Immobilien, in denen sich die Filialen befinden. Zudem fließt bei Aldi viel Geld in die Familienstiftung. Dort wird es gefahrensicher angelegt. Zudem war Aldi frühzeitig darauf aus, in der Plastikindustrie zuzukaufen.
Aldi ging schon früh einen Weg, der damals alles andere als üblich war und setzte auf eigene Produkte. Die alte Kaufmannsweisheit, dass der Vertreiber nicht selbst produzieren soll, damit er nicht mit Reklamationen überschüttet wird, gilt heute längst nicht mehr. Aber damals war es etwas ziemlich neues. Es begann mit eigenem Kaffee, der in Herten produziert wurde.
Bei Aldi wird alles und ausnahmslos umgetauscht, wenn der Kunde dies wünscht. Jede eingequetschte Tomate und jede Laufmasche. Filialleiter dürfen unter keinen Umständen Einwände erheben.
Die beiden Aldi-Unternehmen brüsten sich damit, nicht zu werben. Das ist natürlich nicht wörtlich gemeint, schließlich sind die Anzeigen aus den regionalen und überregionalen Zeitungen nicht wegzudenken. Was Aldi meint ist, dass man die Kunden besonders anspricht, also über den Preis argumentiert und auf Mund-zu-Mund-Propaganda setzt.
Einmal im Jahr gibt es den bisweilen gefürchteten Vergleich zwischen Aldi Nord und Aldi Süd. Folgende Zahlen spielen darin die Hauptrolle: Hauptkostenarten bei Personal, Mieten, Energie usw. sowie Anzahl der Filialen, Umsätze und Gesamtkosten.
Bei Aldi gibt es praktisch keine innerbetrieblichen Veranstaltungen. Sozialkontakte erstrecken sich auf den gemeinsamen Einsatz für sprudelnde Umsätze. Als ein Geschäftsführer mal anlässlich der Heirat seiner Tochter Theo Albrecht nebst Gattin Chily einlud und es dort Zusammentreffen mit wichtigen Lieferanten gab, verzog Theo keine Miene. Das Arbeitsverhältnis wurde gelöst.
Gesteuert von der Angebotsplanung der Discounter?
„Wir haben auch eine Suchfunktion integriert, über die der Nutzer nach einem Artikel suchen kann“, erklärt Körvér. „Er erhält dann eine Liste, wann das Passende in den Läden war, und kann selbst ableiten, wann er das von ihm gesuchte Produkt im Discounter kaufen kann.“ Diese Vorhersage, das räumt Körvér ein, funktioniert bei Aldi Nord und Süd am besten. Die Daten von Lidl und Norma pflegt er nicht mit derselben Akribie. Zwar laufen die meisten Informationen automatisch ins System ein, doch es müssen eben doch immer eine ganze Reihe an Korrekturen manuell vorgenommen werden. Und das für alle Discounter zu machen, ist für sein kleines Team an Discounter-Fans zu viel Aufwand.
Doch die Internet-Surfer scheinen dieses Manko gut verkraften zu können. Dafür, dass für die Webseite nicht geworben wird, ist sie erstaunlich erfolgreich: Rund 400.000 Besucher verzeichnet sie im Schnitt jeden Monat. „Vor Weihnachten gibt’s mal einen Anstieg. Der liegt aber wahrscheinlich weniger an der Geschenkesuche fürs Fest als möglicherweise daran, dass die Leute in der dunklen Jahreszeit einfach mehr Zeit vor dem Computer verbringen“, spekuliert Körvér.
Jedenfalls bietet das Discounter-Archiv eine gute Möglichkeit, den richtigen Zeitpunkt für die eine oder andere Anschaffung relativ gut planen zu können. Die Discounter selbst sind bei der Informationen eher zurückhaltend. Lidl will sich wie Norma aus Wettbewerbsgründen nicht in die Karten seiner Angebotsplanung gucken lassen. Und auch Aldi Süd rückt nicht mit viel mehr Informationen heraus. Allerdings hat man hier das Informationsbedürfnis der Kunden erkannt und verweist auf Anfrage auf Erinnerungsfunktion und Newsletter auf der eigenen Webseite, mit denen Kunden auf Wunsch ihre Lieblingsangebote nicht verpassen.
Doch wie gut funktionieren Sonderangebote? Richten wir uns bei unseren Einkäufen nach ihnen? Bewegen wir uns gar auf eine Planwirtschaft zu, die von der Angebotsplanung der Discounter gesteuert wird?
Nein, das sieht Manfred Tautscher, Geschäftsführer des Sinus-Instituts für Markt- und Sozialforschung, nicht so. „Sonderaktionen sind für den Verbraucher mittlerweile zum Normalzustand geworden“, sagt er. „Wer heute gut informiert ist, kann immer günstig einkaufen.“