Kein verbaler Trauerflor, kein Hinweis auf den Tod einer Legende, kein Wort des Verlustes. Stattdessen übt sich der allwöchentliche Newsletter „Aldi informiert“ in munterer Verkaufsroutine: Aluminium-Rollatoren gibt’s für 89,99 Euro, Leder-Pantoletten für 8,99 Euro, und die Dose WC-Schaumreiniger kostet 1,29 Euro. Dazu Hornhautfeilen und Flaschenkühler, Bikinizonen-Rasierer und Standmixer – alles Aldi-günstig versteht sich, alles ab Montag in der nächstgelegenen Aldi-Süd-Filiale in haushaltsüblichen Mengen erhältlich. Alles wie immer bei Aldi.
Wahrscheinlich hätte es Karl Albrecht genau so gewollt. Er war so. Der Mitbegründer des größten deutschen Discounters, der Wegbereiter eines neuen Handelsformates und reichste Deutsche stirbt, doch das Geschäft geht unverdrossen weiter. Nicht einmal kurz gerät die Verkaufsmaschine ins Stocken, keine Kämpfe ums Erbe lähmen den Konzern.
Seit Jahren war alles sorgsam vorbereitet für den Abgang Karls des Großen, der über ein Reich von fast 5000 Filialen in neun Ländern gebot. Auf 19 Milliarden Euro wird sein Vermögen taxiert, 38,51 Milliarden Euro Umsatz soll Aldi Süd 2013 eingespielt haben.
Chronologie: Der Aufstieg von Aldi
Der Bäcker Karl Albrecht startet am 10. April 1913 den Verkauf von Backwaren im heutigen Essener Stadtteil Schonnebeck.
Quelle: dpa
Karl Albrecht und seine Frau Anna eröffnen im Essener Stadtteil Schonnebeck ein „Kaufhaus für Lebensmittel“.
Nachdem Eltern das Geschäft um weitere Filialen erweitert haben, übernehmen die Söhne Karl und Theo Albrecht 1945 den Betrieb.
Die Brüder entwickeln das Geschäftsmodell weiter. Das Stammgeschäft in Essen-Schonnebeck wird zum Selbstbedienungsladen. Die Kette wächst zudem weiter. 1960 hat das Unternehmen mehr als 300 Filialen.
Das Unternehmen hat mehr als 300 Filialen.
Die Brüder teilen das Filialnetz auf. Karl konzentriert sich auf den südlichen Teil (Aldi Süd) und Theo auf den nördlichen, Aldi Nord. Sie arbeiten aber weiter eng zusammen.
Die erste Aldi-Filiale im Discount-Prinzip wird eröffnet.
1967 folgt der erste Schritt ins Ausland. Aldi Süd übernimmt das österreichische Handelsunternehmen Hofer. 1976 startet Aldi Süd in den USA. Wenige Jahre später steigt auch Aldi Nord mit der Übernahme von Trader Joe's in den US-Markt ein.
Einführung der Aktionstage. Aldi Süd führt Kühltheken für den Verkauf von Frischprodukten ein.
Aldi Süd nimmt u.a. Tiefkühlprodukte ins Sortiment auf.
Aldi Süd beginnt mit der Aufstellung von Backstationen.
Aldi-Mitbegründer Theo Albrecht (Aldi Nord) stirbt im Alter von 88 Jahren.
Aldi Nord führt ein neues Laden-Konzept mit Backstationen ein. Beginn der europaweiten Modernisierung des Filialnetzes.
Aldi-Mitbegründer Karl Albrecht stirbt mit 94 Jahren.
Mit ihrem Discount-Prinzip haben die Gebrüder Albrecht den Lebensmittehandel revolutioniert und ihre Unternehmen einen enormen Erfolg beschert. Das Forschungsinstitut EHI schätzt den Nettoumsatz von Aldi Süd im Jahr 2013 auf 13, 8 Milliarden Euro, den von Aldi Nord auf 10 Milliarden. Aldi Süd verfügt allein in Deutschland über rund 1830 Filialen, Aldi Nord über mehr als 2400. Weltweit kommen Aldi Nord und Aldi Süd zusammen auf insgesamt über 10.000 Filialen und rund 66,8 Milliarden Euro Jahresumsatz.
Aus einer kleinen Ladenstube in Essen haben Karl und sein 2010 verstorbener Bruder Theo Albrecht ein global agierendes Handelsimperium geschaffen und Deutschland, das Land der Dichter und Denker, auch in das Land des Discounts verwandelt. Die Aldi-Brüder haben dazu beigetragen, die Verbraucher über alle Gesellschaftsschichten hinweg auf „billig“ zu eichen. Das Aldi-Prinzip wurde kopiert und fand Einzug in andere Branchen.
Wie war ein solcher Siegeszug möglich? „Ich habe Glück gehabt, sehr viel Glück“, erklärte Albrecht in einem Gespräch mit der „FAZ“ wenige Wochen vor seinem Tod. Glück? Das mag bei aller Koketterie zum Teil sogar stimmen. Die Entdeckung des Erfolgsformates Discount gelang den Gebrüdern aus einer Krisensituation heraus.
Hingegen hatten der anschließende systematische Ausbau des Geschäfts und die Sicherung der Marktposition über Jahrzehnte hinweg nur wenig mit Zufall zu tun. Sieben schlichte Leitsätze lassen sich identifizieren, die das Fundament für Aldis Fabelaufstieg bilden. Sie sind eng mit den unternehmerischen Überzeugungen und der Persönlichkeit des Gründers Albrecht verwoben und taugen zugleich als generelles Raster für einen nachhaltigen Unternehmensaufbau.
1. Reduziere die Risiken!
Die Entwicklung des Discountkonzepts bescherte den Albrechts einen Ruf als Handelsrevoluzzer. Dabei wurde die Erfolgsidee aus blanker Not geboren. 1948 übernehmen Karl und Theo das im Krieg unbeschädigt gebliebene Lebensmittelgeschäft ihrer Mutter Anna in Essen und bauen eine kleine Ladenkette auf.
Mit dem Erstarken der Selbstbedienungs-Supermärkte werden die Nachbarschaftsläden jedoch zum Auslaufmodell. Die Albrecht-Kundschaft wendet sich ab. Die Handelsbrüder scheitern mit dem Versuch, eigene Supermärkte zu betreiben. Auch die Idee, Großmärkte für Gewerbetreibende aufzumachen – das spätere Modell der Metro – wird zum Flop.
Der vierte Anlauf ist schließlich der Volltreffer. Statt üppig bestückter Regale gibt es in den Läden nur ein karges Produktangebot, allerdings zu unschlagbar günstigen Preisen. Die Albrechts erfinden den Discount. Von der ersten Filiale im nordrheinwestfälischen Dinslaken aus revolutioniert das neue Verkaufsformat ab Ende 1961 im Sturm die Handelswelt.