Tabakkonzerne Hersteller inszenieren die gesündere Zigarette

Tabakkonzerne erzielen trotz Schockbildern und Werbeverboten riesige Gewinne. Davon pumpen sie Milliarden in die Entwicklung von angeblich weniger tödlichen Nikotinspendern. Was Apple und Nespresso damit zu tun haben.

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Tabakkonzerne setzen auf den Game-Changer E-Zigarette. Quelle: Getty Images

Timo Beyer sitzt in einem Konferenzraum und sortiert seine Verteidigungslinien. Dazu greift der Geschäftsführer des Düsseldorfer E-Zigaretten-Anbieters Posh Global nach einer kleinen Schachtel, in der sein Topmodell liegt. Beyer schiebt eine Kapsel von der Größe einer Tintenpatrone in eine Art fülligeren Kugelschreiber. Dann startet er das batteriebetriebene Ding und steckt es sich in den Mund. Der 42-Jährige saugt daran, pafft eine Weile vor sich hin, im Raum verbreitet sich ein Hauch von Pfirsich.

Dann schaut Beyer auf sein Smartphone: „Okay, meine App zeigt mir, dass ich in diesem Monat im Vergleich zu normalen Tabakzigaretten 56,48 Euro gespart und 2824 Züge genommen habe.“

Beyer tippt noch einmal auf den Bildschirm: „Jetzt vibriert das Gerät nach zehn Zügen: So weiß ich, dass meine Zigarettenpause beendet ist.“ Geht alles gut, birgt der kleine Apparat, die E-Zigarette Be Posh Pro Plus, ein großes Geschäft für Beyer. Denn die Rauchalternativen gelten als gigantischer Wachstumsmarkt.

Zwar steckt sich weltweit immer noch eine Milliarde Menschen mehrmals am Tag eine herkömmliche Zigarette an, in der sie Tabak (und mit ihm an die 4800 Giftstoffe) verbrennen.

Doch das Geschäft gilt mit 700 Milliarden Euro weltweitem Umsatz und bis zu 40 Prozent Gewinnmargen als zwar lukrativ, aber gestrig: Vor allem in den westlichen Industriestaaten versucht die Politik mit Werbeverboten, Schockbildern oder Einheitsverpackungen das Geschäft mit der Nikotinsucht zu unterbinden. Und das wirkt auf die Lust am Rauchen: Allein BAT verkauft in Deutschland, wo die Branche 20 Milliarden Euro Jahresumsatz mit Tabakwaren erwirtschaftet, heute 35 Milliarden Zigaretten weniger im Jahr als noch vor fünf Jahren.

Vor allem unter Jugendlichen hat die Zahl der Raucher einen Tiefstand erreicht. Die großen Zigarettenkonzerne, von British American Tobacco (BAT) über Philip Morris bis Japan Tobacco, setzen deswegen auf die neuen Raucherwaren, die es auf immerhin schon zehn Milliarden Euro Umsatz weltweit schaffen. Die Konzerne fürchten, sollten sie zu lange am Geschäftsmodell mit dem klassischen Tabak festhalten, den Kodak-Moment; also den Augenblick, in dem ein technisch besseres Produkt ihren Zigaretten den Rang abläuft.

Anzahl der Raucher in China

„Die Konzerne sehen deshalb in der E-Zigarette den Game-Changer“, sagt einer von mehr als 100 Lobbyisten, der in Brüssel Stimmung für die Branche macht. Sie wittern die Chance, nicht länger nur One-Trick-Ponys zu sein, Konzerne, die ein einziges Produkt anzubieten vermögen. Stattdessen drängen sie darauf, ein Marktsegment, das ihnen gefährlich werden könnte, zu erschließen. Auch, um sich ein neues Image zu verschaffen: vereint mit Verbrauchern im Kampf gegen die Folgen des Rauchens und gleichzeitig mindestens so cool und modern zu sein wie einer der Silicon-Valley-Riesen.

Wie bei Apple und Nespresso

„Sind Sie denn Raucher?“, fragt Michelle Schwarzbach den Kunden, der gerade den Laden in der Frankfurter Innenstadt betreten hat. „Ja“, antwortet dieser. „Super“, strahlt die 27-Jährige. „Dann nehmen Sie doch schon mal da vorne Platz, und ich zeige Ihnen gleich unser Produkt.“ Was aussieht wie eine Mischung aus Apple Store und Nespresso-Boutique, ist eines von bislang vier Vorzeigegeschäften, die Philip Morris in den vergangenen Monaten in Deutschland eröffnet hat. Hier inszeniert der größte Zigarettenkonzern der Welt die Iqos, eine Alternativzigarette, die anders als Timo Beyers Entwicklung noch Tabak enthält, aber ebenfalls als gesündere Alternative daherkommt.

Die Berufe mit den meisten Rauchern
Frauen Platz 5: Gästebetreuung mit 42,1 ProzentZwei von fünf Frauen in der Gästebetreuung rauchen gerne mal eine Zigarette zwischendurch. Die Zahlen stammen aus dem Tabakatlas, einer Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums. Erwerbstätige Frauen rauchen deutlich weniger als ihre männliche Kollegen: Nur 42,7 Prozent greifen zur Zigarette (Männer: 55,8 Prozent). Quelle: dpa
Frauen Platz 4: Malerinnen und Lackiererinnen mit 42,6 ProzentMinimal häufiger als Kellnerinnen greifen professionell malende Frauen zum Glimmstängel. Generell haben Akademikerinnen eine niedrigere Raucherquote als Frauen mit geringerer Bildung. Nur jede sechzehnte Apothekerin und jede zehnte Ärztin rauchen. Zum Vergleich: Über 40 Prozent der Helferinnen in der Krankenpflege und Altenpflegerinnen qualmen am Glimmstängel. Quelle: Fotolia
Frauen Platz 3: Wächterinnen und Aufseherinnen mit 47 ProzentWer die ganze Zeit nur rumsteht und auf Dinge aufpasst, der ist froh, wenn er – oder besser gesagt sie – sich ab und zu eine Zigarette anzünden kann. Quelle: Fotolia
Frauen Platz 2: Berufskraftfahrerinnen mit 49,4 ProzentJede zweite Berufskraftfahrerin raucht. Damit liegt sie deutlich vor Berufen wie Ingenieurin (8,0 Prozent), Gymnasiallehrerin (10,8) oder Maschinenführerin (40,5). Quelle: Fotolia
Frauen Platz 1: Werk-, Personenschützerinnen und Detektivinnen mit 50,5 ProzentBei der rauchenden Personenschützerin oder Detektivin bleibt sicher nichts im Nebel. Zumindest im übertragenen Sinn. Das Bild zeigt Angela Merkel mit einer Personenschützerin. Quelle: dpa
Männer Platz 5: Hotel- und Gaststättenkaufleute mit 52,9 ProzentMehr als die Hälfte aller Wirte und Hoteliers konsumieren die Glimmstängel. Auf den unteren Plätzen folgen Gästebetreuer (52,2 Prozent), Tiefbauberufe (52,1), Bauhilfsarbeiter (51,5) sowie Maler und Lackierer (51,3). Quelle: dpa
Männer Platz 4: Transportgeräteführer mit 53,8 ProzentEin Transportgeräteführer steuert zum Beispiel Stapler, Kräne oder Aufzüge. Ob die Kranführer nur in der Pause oft rauchen oder auch in der Kabine am Glimmstängel ziehen, wurde übrigens nicht erfasst. Quelle: dpa

Der Nutzer steckt eine Art verkürzte Zigarette, von PMI Heet getauft, in ein Gerät vom Aussehen eines Lippenstifts. Darin wird das Tabakröllchen nur erwärmt, nicht verbrannt. Das sorgt laut Philip Morris dafür, dass der Großteil der schädlichen Substanzen gar nicht erst entsteht. „Im Schnitt“, sagt Arndt Wippert, Vertriebsgeschäftsführer bei Philip Morris, „verkaufen wir davon bereits rund 30 Geräte am Tag.“ 12 000 Kunden hätten sich seit dem Start im Sommer vergangenen Jahres eine Iqos gekauft und in der Datenbank registrieren lassen.

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