Tonnen in der Tonne Das Geschäft mit der Essensverschwendung

Millionen Tonnen Lebensmittel landen jährlich in Deutschland im Müll, obwohl sie noch einwandfrei genießbar wären. Einige Start-ups haben aus der Verschwendung mittlerweile ein Geschäftsmodell entwickelt.

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Nach Einschätzung des Ernährungsministeriums werfen die Deutschen jährlich elf Tonnen Lebensmittel weg, obwohl sie noch genießbar sind. Quelle: dpa

Düsseldorf Frank Wiedekind freut sich. Die Tüte, die er in der Düsseldorfer Bäckerei „Simons Brotkörbchen“ kurz vor Ladenschluss abgeholt hat, ist prall gefüllt: mit Pizza, Brötchen, Kuchenteilchen und Shakes. Waren im Wert von über zehn Euro. Dafür zahlt er gerade einmal 2,90 Euro. „Man weiß ja vorher nie, was drin ist. Also kann man sich überraschen lassen und gleichzeitig Geld sparen“, sagt Wiedekind. „Und man rettet natürlich Lebensmittel.“ Denn die Backwaren wären sonst im Müll gelandet.

Wiedekind nutzt die App „Too Good to Go“: Diese verbindet Gastronomien, Bäckereien und Lebensmittelhändler, die nach Ladenschluss noch Waren übrig haben, mit nachhaltig denkenden Kunden auf der Suche nach Schnäppchen. „Wir sehen es als unsere Mission an, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren“, erklärt Julian Stützer, „Too Good to Go“-Geschäftsführer in Deutschland. Bisher bewährt sich das Modell: Seit Anfang des Jahres ist das 2015 in Schweden gegründete Unternehmen auf dem deutschen Markt und hat bereits 85.000 Speisen vor der Mülltonne gerettet.

Jährlich werfen die Deutsche etliche Tonnen Lebensmittel weg – obwohl diese noch genießbar wären. „Nach meiner Schätzung dürften 35 bis 40 Millionen Tonnen jährlich in Deutschland auf dem Müll landen“, sagt Michael Schieferstein vom Verein „Foodfighters“. Zwar sind die Zahlen des Ernährungsministeriums und des WWF mit elf beziehungsweise 18 Millionen Tonnen moderater. Das liegt laut Schieferstein aber daran, dass die Institutionen nicht alle Lebensmittel berücksichtigen: „Es wird viel direkt auf den Äckern und in der Herstellung aussortiert. Essbare Lebensmittel, die ohne Not vernichtet werden. Das wird totgeschwiegen und dringt gar nicht an die Öffentlichkeit.“

Von dem offensichtlichen ethischen Problem abgesehen, ist auch der wirtschaftliche Schaden immens. Laut Schätzungen der Uni Stuttgart aus dem Jahr 2012 hat jedes Kilogramm – das im Müll landet, aber noch genießbar wäre – einen Wert von 4,43 Euro.

Damit liegt eigentlich bares Geld auf dem Müll, auf das vor allem Start-ups aufmerksam geworden sind. Denn „Too Good to Go“ ist nicht das einzige junge Unternehmen, das die Lebensmittelverschwendung zum Geschäftsmodell macht. Immer mehr Menschen haben Ideen, wie man gegen die zunehmende Wegwerf-Mentalität vorgehen und gleichzeitig Profit machen kann.


Start-ups machen Verschwendung zum Geschäftsmodell

So wie das junge Münchener Unternehmen Etepetete. Es verkauft Obst und Gemüse, das nicht den üblichen Normen des Handels entspricht, aber vollkommen genießbar ist. „Das sind Produkte, die etwas krumm gewachsen sind oder etwas größer oder kleiner als die, die man im Einzelhandel findet“, sagt Mitarbeiterin Martina Dach. Seit der Gründung 2014 bezieht das Unternehmen das Obst und Gemüse von verschiedenen Partnerbetrieben – zunächst nur aus Deutschland, seit einiger Zeit auch von Landwirten im Ausland. So können die Kunden zu jeder Jahreszeit alle Obst- und Gemüsesorten kaufen – so wie im herkömmlichen Supermarkt. Denn die Nachfrage nach solchen Lebensmitteln besteht, wie aktuelle Zahlen belegen: „Rund 15 bis 20 Prozent der Käufer denken und handeln nachhaltig“, weiß Experte Schieferstein. Auch die Supermarktketten Penny, Edeka, Rewe und Aldi Süd verkauften daher solche Produkte zeitweise oder tun es immer noch. Das seien aber Ausnahmen. Denn die Vorgaben sind streng.

Einer, der das bereits vor einiger Zeit bemerkt hat, ist Lars Peters. Von einem Auslandsaufenthalt in Australien brachte er die Idee mit, das dort populäre Bananenbrot auch in Deutschland zu verkaufen. Weil er zur Herstellung sehr reife Bananen benötigte, kontaktierte er einige Großhändler. „Ich kam dann meist in eine Großhalle, in der die Lebensmittel gelagert wurden, die aussortiert worden waren – 95 Prozent davon war perfektes Obst“, erzählt Peters. Bereits Druckstellen von Fingernagelgröße machten das Obst für den Handel nicht mehr verwertbar. Die seiner Meinung nach offensichtliche Lebensmittelverschwendung bestärkte ihn in seinem Vorhaben. Wenig später gründete er mit einem Geschäftspartner den Bananenbrothersteller Bebananas, aus dem kürzlich das Unternehmen „Neue Werte“ wurde. Unter dem neuen Namen sollen nun unter anderem auch Mangos, Kiwis und Avocados vor dem Mülleimer gerettet und weiterverarbeitet werden.

Im Handel ist aber nicht nur die Vorauswahl ein Problem – auch die Deklarierung mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum führt nach Meinung der Lebensmittelretter zu Verschwendung. „In den meisten Fällen ist es viel zu kurz angesetzt und bei vielen Produkten, zum Beispiel bei Trockenwaren, komplett unnötig“, sagt Schieferstein.

Ähnlicher Auffassung ist Nicole Klaski, Gründerin des Lebensmittelladens „The Good Food“ in Köln. „Mein Lieblingsbeispiel ist Salz“, sagt sie. „Das kann man nach 1000 Jahren immer noch verwenden und trotzdem steht ein Mindesthaltbarkeitsdatum drauf.“ Aus Ärger darüber gründete sie mit ihren Mitstreitern Anfang des Jahres einen Laden, in dem neben ausrangiertem Obst und Gemüse sowie Backwaren vom Vortag auch abgelaufene Lebensmittel angeboten werden. Und die kommen gut an, wie sie erzählt: „Viele Leute freuen sich, dass sie etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun können.“ Auch die Kooperationspartner, von denen die Waren bezogen werden – Landwirte, Bäckereien, Lebensmittelhändler – freuen sich, dass sie die Lebensmittel nicht wegschmeißen müssen. Und: Die Entsorgungskosten für ausrangierte Produkte entfallen.

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