Trend im Lebensmittelhandel Warum nicht alles "aus der Heimat" regional ist

In der globalisierten Welt boomen regionale Produkte. Die Deutschen wünschen mehr Regionalität, vertrauen aber Labeln und Supermärkten nicht mehr. Das schafft einen wachsenden Markt für neue Anbieter.

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Regionale Karotten. Quelle: Getty Images

Julian Hans hat es satt, dass regionale Produkte regelmäßig den „Bio-Birkenstock-Stempel“ aufgedrückt bekommen. In seinem Laden „Der Hans“ im Dortmunder Kaiserstraßenviertel möchte er regionalen Produkten ein neues Image verpassen. Er macht den Wunsch immer mehr deutscher Konsumenten, zu wissen, wo die Produkte herkommen, zu seinem Geschäftsmodell. Wenn Hans um neun Uhr seine Flügeltür öffnet, kommen nicht nur Kunden, sondern auch die Produzenten von Möhre, Apfel und Co. herein. „In meinem Laden treffen die Kunden die Erzeuger“, sagt Hans.

Mit seinem Laden trifft Julian Hans die Bedürfnisse der Deutschen. Im laufenden Jahr bevorzugen laut einer Allensbach-Umfrage fast 36 Prozent der Kunden beim Einkauf regionale Produkte. Tendenz steigend.

Der Trend wird durch das wachsende Misstrauen gegenüber der Lebensmittel-Industrie befeuert. Laut einer DLG-Studie aus dem Jahr 2015 fühlt sich die Hälfte der Befragten bei der Lebensmittelkennzeichnung getäuscht. Die Sehnsucht nach Aufklärung über Herkunft und Produktion wächst. Konsumpsychologin Simonetta Carbonaro und Christian Votava von der Strategieberatung Realise haben sich auf Konsumverhalten spezialisiert. Votava erklärt: Der Markt sei von Produkten und Botschaften so verstopft, dass die Menschen nach einer neuen Orientierung suchten. Regionale Produkte könnten diese Lücke stopfen.

Julian Hans in seinem Laden

Es geht um Vertrautheit, Tradition, Natur und Heimatliebe. „Konsumenten vertrauen dem Fleisch, bei dem sie das Gefühl haben, der Kuh in die Augen zu sehen“, sagt Votava. Das sei dann nicht einfach ein Stück Fleisch, sondern ein gekühltes Stück Heimat.

Der Lebensmittelhandel muss sich dem anpassen. Er ist die Brücke zwischen Produzenten und Kunden, erklärt Votava. Passt sich der Handel nicht an die Bedürfnisse der Kunden an, bricht er ein. Supermärkte und Discounter springen gleichermaßen auf den Trend an: Rewe reagiert mit der Handelsmarke „Rewe Regional“, Lidl etwa verkauft „ein gutes Stück Heimat“.

Die entscheidenden Begriffe sind nicht geschützt

Julian Hans trotzt der Konkurrenz durch die großen Ketten mit den Geschichten seiner Produkte. „Wenn ein Kunde bei mir Äpfel kauft, kann ich ihm beim Kassieren mit dem iPad-Kassensystem den Baum zeigen, an dem er gewachsen ist.“ Fehlende Transparenz ist laut des bundesweiten Marktchecks der Verbraucherzentralen ein Schwachpunkt der Supermärkte. „Wer darüber nachdenkt, versteht auch, dass die Werbung mit dem Begriff ,regional‘ oft nur eine Marketingmasche ist“, sagt Hans. Das versteht er als seinen Vorteil.

Kein Apfel, keine Möhre und kein Steak sind weiter als 50 Kilometer Luftlinie bis zur Ladentür von „Der Hans“ gereist. Für jeden zweiten Deutschen gelten laut einer DLG-Umfrage alle Produkte aus dem Heimat-Bundesland als regional, für 37 Prozent ist es der Großraum der Heimatstadt.

Die größten Lebensmittelhändler

Das Problem: Begriffe wie „regional“ und „von hier“ werden oft wenig nachvollziehbar verwendet. Das ergab ein bundesweiter Marktcheck der Verbraucherzentralen. Auch auf einige der Herkunftskennzeichnungen sei nicht immer Verlass.

Abhilfe soll das „Regionalfenster“ bieten, ein vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unterstütztes, eingetragenes Zeichen zur Kennzeichnung von Lebensmitteln. Es verrät, wo der Hauptanteil der verwendeten Zutaten herkommt und wo das Produkt verarbeitet wurde. Hersteller können das blaue Deklarationsfeld nach Prüfung durch eine Kontrollstelle auf Produktverpackungen drucken.

Dennoch ist auf Kennzeichnungen wie diese oft nicht ausreichend Verlass. Das liegt am Lebensmittelrecht: Laut diesem müssen lediglich 51 Prozent eines Produktes aus der genannten Region stammen. Und selbst wenn das Regionalfenster den Herkunftsort nennt und dieser in der Nähe des Supermarktes ist, kann die Produktion laut dem Marktcheck der Verbraucherzentralen bis zu 470 Kilometer entfernt stattgefunden haben.

Nicht nur die Produzenten, sondern auch die Supermärkte nutzen Lebensmittelkennzeichnungen und gesetzlich nicht geschützte Begriffe, um ihre Produkte zu vermarkten. In Supermärkten führt oft schon die Werbung am Regal in die Irre. So ergab der Marktcheck im Jahr 2015 zum Beispiel, dass ein Kräuterquark der Marke „Mark Brandenburg“, gekauft in Berlin, mit dem Satz „Ich bin von hier“ beworben wird. Der Produktionsort ist aber Köln. Auch in Flyern von Supermärkten werden Produkte regelmäßig mit „aus Rheinland-Pfalz“ oder „aus der Region“ beworben. Erkennbar ist aber lediglich, dass die Produkte aus Deutschland stammen.

Anderes Beispiel: Die Marke „Unser Norden“ der Rewe-Tochter Sky verkaufte unter dem heimeligen Motto neben schleswig-holsteinischen Bierbeißern auch E-Bikes und Kaffeemaschinen als Werbeartikel. Seit 2005 drucken Sky-Supermärkte das Label „Unser Norden“ auf Produkte, die alles sein können – nur nicht zwingend aus dem Norden. 2014 wurde der Kaffee laut einer Sprecherin der Supermärkte Nord Vertriebsgesellschaft unter dem Siegel aus den Regalen genommen – selbst den botanisch unkundigsten Menschen ist klar, dass Kaffee sicher nicht aus ihrem Landstrich kommt.

Zwölf Jahre nach seiner Einführung will die Marke nun endlich deswegen auch das ihr innewohnende Versprechen einlösen. Künftig sollen alle „Unser Norden“-Produkte tatsächlich aus Regionen nördlich von Niedersachen stammen.

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