Gefragter Halbedelstein Der dubiose Boom des Bernsteins

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Fußballstadion in Form eines Bernsteins

Das städtische Fußballstadion ist in Form und Farbe einem riesigen Bernstein nachgebildet, gleich nebenan liegt das Kongresszentrum. Zweimal im Jahr trifft sich hier die weltweite Händlerszene, man könnte den „AmberMart“ eine Leitmesse nennen, doch eigentlich ist es ein riesiges, hektisches Gewusel. Denn anders als bei einer Industrie- oder Modemesse ist das hier eine Messe im klassischen Wortsinn: Hier wird tatsächlich gehandelt, Bernstein in die Tüte, Bargeld auf die Hand. Die Verkäufer sind zumeist Polen, Litauer oder Chinesen, die Ankäufer kommen fast alle aus Fernost.

Die Ehepartner Hu und Li betreiben einen kleinen Bernsteinshop in Shanghai und eine kleine Handelsgesellschaft in Danzig. Ihre wichtigste Geschäftsplattform aber halten sie wie alle hier in der Hand: das Smartphone. Wenn sie die Ware an einem Stand interessiert, bleiben sie stehen, lassen sich die Ware kurz vorlegen, dann verschmelzen sie minutenlang mit ihren Smartphones. Schießen Fotos, filmen und sprechen ein, was die Steine vor ihnen ausmacht und welchen Preis sie sich vorstellen. Die Beiträge stellen sie dann auf der Plattform WeChat ein, ein chinesisches WhatsApp.

Auf der Plattform unterhalten Hu und Li verschiedene Gruppen für potenzielle Geschäftspartner in China. Noch am Stand in Danzig führen sie mit denen Preisverhandlungen. Ware und Preis werden der Gruppe vorgestellt, und erst wenn einer anbeißt, beginnt am Stand in Danzig das Gefeilsche, am Ende werden die vier- und fünfstelligen Preise in bar bezahlt.

Bernstein-Nugget. Quelle: Laif/Saltimages/Denis Sinyakov

„So vermeiden wir die Gefahr, am Ende auf unserer Ware sitzen zu bleiben“, erklärt Hu die Methode. Die Bernsteinhändler stellen damit die klassischen Gesetze von Ertrag und Risiko auf den Kopf. Bei Hu kommt erst die Marge, dann der Einkauf. Das für sich genommen geniale Modell hat nur eine Schwäche: die Hunderte anderen chinesischen Händler, die hier nach dem gleichen Prinzip Geschäfte machen. Wenngleich die objektiven Indikatoren dafür fehlen, in diesem Herbst dominiert auf der Danziger Messe die Ansicht, dass die allerbesten Preise wohl der Vergangenheit angehören. Der Markt schwächelt, vor allem aber hat der Vergleich mit Gold wohl für ein bisschen zu große Aufmerksamkeit gesorgt.

Die meisten polnischen und litauischen Anbieter sind auch deshalb reichlich frustriert, wenn man sie auf die vermeintlichen Profitchancen im Fernen Osten anspricht. „Die chinesischen Händler dominieren hier den kompletten Markt“, sagt Saulis Malisauskas, der vom litauischen Städtchen Scholei aus mit fast allem handelt, was irgendeinen Ertrag verspricht. Mal war es Alkohol, mal Zigaretten. Zuletzt setzte er ganz auf Bernstein, doch jetzt zweifelt er. „Weil wir keine eigenen Kontakte nach China haben, sind wir gegen die chinesischen Händler chancenlos.“ Viele haben inzwischen ein Schengen-Visum und kaufen die Ware bei den Zwischenhändlern, mit denen er früher Geschäfte machte.

Diese Logik mag für die zweite Hälfte der Verwertungskette gelten, für die ersten Schritte gilt sie nicht: den Abbau und Erstverkauf der rohen Bernsteine. Wer über die Börse in Danzig schlendert, der bekommt zwar Bernsteine in jeder Form, Farbe, Größe und Preisklasse angeboten. Eine Frage aber beantwortet kein Anbieter: Wo kommt die Ware her?

Es gibt grob drei Gebiete weltweit, in denen Bernstein heute gewonnen wird. Nur wenige, dafür sehr reine Steine bergen Fischer, die den Bernstein in der Ostsee als Beifang einsammeln oder mit Infrarotlampen nach ihm fahnden. Am Strand kann man die Steine einsammeln, das aber bringt nur äußerst selten relevante Mengen. An Land abgebaut werden kann der Bernstein rund um Yantarnyi bei Kaliningrad und im Norden der Ukraine. In beiden Abbaugebieten lagern sehr große Mengen, aber leider haben auch beide Reviere spezielle Probleme. Der Mangel der Steine aus der Ukraine liegt in der geringen Qualität. Sie sind meist voller feiner Risse und innerer Frakturen, die Steine aus Yantarnyi hingegen sehr rein. Die Verunreinigungen in den ukrainischen Steinen lassen sich zwar durch Erhitzen ausgleichen, das aber ist für chinesische Kunden ein absolutes Tabu.

„Für chinesische Kunden ist Natürlichkeit das Wichtigste“, erläutert Händler Querl, „sobald ein Stein behandelt ist, verringert sich der Preis dramatisch.“ Und so entsteht der erste Ansatzpunkt, die Herkunft zu verschleiern. „Viele Steine aus der Ukraine werden erhitzt und dann als baltische Steine angeboten“, sagt Querl. Diese kriminelle Masche ergänzt sich aufs Ungünstigste mit dem teilweisen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung seit dem Beginn des Konflikts mit Russland. In Hunderten illegalen Grabungen wird der Bernstein aus dem Boden gespült und sofort weitertransportiert. Und so überschwemmen die Fälschungen derzeit den chinesischen Markt.

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