Getränkekonzerne Abgesang auf den Mythos Coca-Cola

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Kein Glück mit neuen Produkten

Tatsächlich scheint der Konzern genau das am meisten zu fürchten. Das zeigt eine interne Grafik, „Public policy risk matrix“ genannt. Eine Art Gefahrenanalyse, in der das Unternehmen mögliche Ereignisse danach bewertet, wie wahrscheinlich sie eintreten und wie sie sich auf das Geschäft auswirken. Ergebnis: Mehr Angst als vor höheren Mehrwegquoten und Lebensmittelampeln hat Coca-Cola Europa vor Steuern und Abgaben auf Zuckergetränke. Das, so zeigt es die Matrix, wäre maximal geschäftsschädigend.

Coke bestätigt die Existenz der „Risk-Map“, „ein internes Dokument, das in der Vergangenheit verwendet wurde, um potenzielle politische Entwicklungen zu veranschaulichen“. Es spiegele jedoch nicht den neuesten Stand und die derzeitigen Positionen wider.

Dennoch ist das Papier ein Beleg dafür, wie wichtig Zucker für den Limokonzern noch immer ist. Mehr als die Hälfte des Umsatzes wird mit dem Original gemacht. Auch deshalb ist es für Coke, seit mehr als 130 Jahren selbst der Droge Zucker erlegen, nahezu unmöglich, von dem Stoff loszukommen.

Vor drei Jahren hat man einmal den Entzug versucht. Da wurde in Europa mit großem Aufwand und vielen Werbemillionen „Coca-Cola life“ eingeführt. Ein bisschen bio, ein bisschen hipp kam die grüne Coke mit der Hälfte der sonst üblichen Zuckermenge aus. Das schmeckte der PR-Abteilung, aber nicht den Kunden. In Australien und Großbritannien wurde die Limo schon wieder vom Markt genommen, in Deutschland wird das wohl auch bald geschehen. Stattdessen versuchen die Manager und Produktdesigner nun, den Zuckergehalt aller Getränke bis 2020 um zehn Prozent zu senken.

Wie das gelingen soll, ist indes unklar. Noch hat Coke keine passende Antwort. Stattdessen rief man im vergangenen Jahr die „Sweetener Challenge“ aus: eine Million Dollar für den, der gesunden Süßstoff liefert.

Was klingt wie ein Marketinggag ist ernst gemeint. Schließlich fragen auch in Amerika, Cokes nach wie vor wichtigstem Markt, die Menschen zunehmend nach gesünderen, möglichst zuckerfreien Lebensmitteln. Cokes Erzkonkurrent Pepsi erspürte den Trend schon vor Jahren und stellte sein Angebot entsprechend um. Auch deshalb geht es dem Konkurrenten heute besser.

Ein Begleiter für den ganzen Tag

Die Krise in Atlanta ist Ergebnis einer verfehlten Strategie des alten Direktors Muhtar Kent. Der Manager war von 2008 bis zum vergangenen Jahr Chef des Getränkeriesen und hatte aggressiv seine „Vision 2020“ verfolgt. Der Plan las sich wie eine Roadmap zur Weltherrschaft. Coca-Cola, stand da, solle global der bevorzugte und vertrauenswürdigste Getränkelieferant werden. Bis 2020 solle sich der Absatz verdoppeln, Gewinn und Margen kräftig steigen. Von weniger Zucker, Biodrinks und gesünderen Produkten indes fand sich kaum etwas in dem Papier.

Wer isst was? - Vegetarismus

Das kam erst mit dem Chefwechsel im Frühjahr 2017. Da übernahm James Quincey die Firma, versprach mehr als 500 neue Produkte, darunter Smoothies, Säfte und Schorlen, und fand blumige Worte dafür: „Wer in diesem Wettbewerb erfolgreich sein will, braucht ein breites und kommerziell überzeugendes Angebot von starken Marken“, sagte Quincey. Künftig werde Coca-Cola die Menschen den ganzen Tag über begleiten. Vom ersten Schluck Wasser, Tee oder Kaffee am Morgen, dem Erfrischungsgetränk zum Mittagessen, einem isotonischen Getränk nach dem Sport bis zum Feierabenddrink. „Wir wollen den Menschen für jeden dieser Momente verschiedene Getränke aus unserem Sortiment anbieten.“ Schließlich gehe es darum, das herzustellen, was die Verbraucher wollten. Seither veröffentlicht Coke gerne bunte Infografiken, auf denen es um steigende Werbeausgaben für zuckerfreie Produkte geht oder um den Anspruch, einer der größten Wasserhersteller zu werden.

Klingt alles vernünftig. Ist jedoch höchstens die halbe Antwort auf die Krise.

Das erahnt, wer sich in den VW Passat von Kurt Haberl setzt, der an einem Spätsommertag durch eine ostbayrische Hügellandschaft kurvt, vorbei an grünen Wiesen, Hopfenfeldern und Landgasthöfen. Haberl, 54 Jahre und ein herzlicher Typ, ist im Zuckergeschäft groß geworden: Ausbildung bei Südzucker Ende der Siebziger, Eintritt in die NGG, die Gewerkschaft der Nahrungsmittelbranche, Anfang der Achtziger, seit 1991 deren hauptamtlicher Mitarbeiter – zuständig für Coke in der Region. „Seit Ende der Neunzigerjahre ist das Unternehmen in einem permanenten Umstrukturierungsprozess“, sagt er.

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