Milliarden mit dem Krebsmittel An Bavencio entscheidet sich die Zukunft von Merck

In Darmstadt haben sie endlich ein neues Krebsmedikament. Milliarden soll es Merck einbringen – wenn Trump und die deutschen Kassen mitspielen.

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Ein wenig Hoffnung: Dank neuer Medikamente haben viele Patienten mit fortgeschrittenem Krebs seit Langem keinen Rückfall mehr erlitten. Quelle: Getty Images

Auch eher abseitige Kenntnisse können zu großen Durchbrüchen führen. Stefan Oschmann, früher Pharma- und heute Konzernchef bei Merck, beherrscht ein paar Brocken der persischen Landessprache Farsi. Die nutzte er, als er einmal das hauseigene Forschungszentrum in Boston besuchte.

Beim Plausch mit einer iranischen Forscherin erklärte die ihm, sie arbeite an einer Immuntherapie, die körpereigene Abwehrkräfte gegen Krebszellen stärke. Ein vielversprechendes Projekt – nur dass sich leider niemand dafür interessiere. Oschmann schon. Spontan, so die Legende bei Merck, habe der persisch parlierende Chef einige Millionen Euro und ein gutes Dutzend Mitarbeiter zugesagt.

Heute, sechs Jahre später, soll sich diese an sich überschaubare Investition auszahlen. Nach Jahrzehnten, in denen es aus Mercks Forschungspipeline allenfalls tröpfelte, will Oschmann mit dem Medikament Bavencio die Krebsbehandlung revolutionieren. Und endlich mal mit Pharma richtig Kasse machen. Oschmann selbst spricht von einem „historisch wichtigen Ereignis“. Analysten rechnen mit Milliarden. An Bavencio, so viel ist klar, hängt die Zukunft des Merck-Pharmageschäfts – denn langjährige Umsatzbringer wie Rebif gegen multiple Sklerose und das Krebsmittel Erbitux sind in die Jahre gekommen. Und so jubelte die Börse, Anleger kauften den Aktienkurs nach oben, als Merck kürzlich eine erste Zulassung für Bavencio bekam.

Merck-Chef Stefan Oschmann Quelle: dpa

Womöglich kam der Jubel etwas früh, denn ein Selbstläufer wird das Mittel nicht. Zum einen schläft Mercks Konkurrenz auch bei Immunpräparaten nicht. Zum anderen prallt das selbst erklärte Pharmawunder auf politischen Widerstand: In den USA kämpft Donald Trump, Obamacare hin oder her, gegen überhöhte Arzneipreise. Und auch in Deutschland wollen Politiker verhindern, dass die Pharmariesen mit der Tumorbehandlung ungeniert und ungehindert Kasse machen.

Der Markt würde das Kassemachen wohl hergeben. Krebs ist in allen Industrienationen auf dem Vormarsch, allein in Deutschland erkrankt jährlich eine halbe Million Menschen neu, etwa 200.000 sterben jährlich daran. Immunpräparate, die körpereigene Abwehrkräfte dazu bringen, den Tumor als Feind zu erkennen und anzugreifen, versprechen Heilung oder zumindest ein längeres Leben. Erste Erfolge gibt es: „Viele Patienten mit rasch fortschreitendem Krebs sind auf einmal stabil und haben seit Monaten, einige seit Jahren, keinen Rückfall mehr erlitten“, sagt Bernhard Wörmann, Krebsmediziner an der Charité in Berlin.

Die US-Behörde FDA hat deshalb Bavencio für eine erste Anwendung zugelassen, die Genehmigung für Europa soll später im Jahr folgen. Ärzte können das Mittel jetzt erst einmal nur bei einer sehr seltenen Art von Hautkrebs einsetzen. Am Merkelzellkarzinom leiden in Europa und den USA nur rund 5000 Patienten. Analysten kalkulieren deshalb zurückhaltend mit einem jährlichen Spitzenumsatz von maximal 300 Millionen Euro.

Der Vorteil der Bescheidenheit: Ein Mittel, das gegen eine seltene Krankheit angewandt wird, sichert sich automatisch das Wohlwollen der Behörden. Die fordern dann weniger aufwendige Studien als für breit anwendbare Mittel, sie bieten finanzielle Anreize und eine schnellere Zulassung. So gefördert, sind Mittel gegen seltene Erkrankungen bei Big Pharma mittlerweile beliebt. Das Geschäft dürfte in den kommenden Jahren doppelt so schnell wachsen wie das mit klassischen Präparaten.

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