Gisela Sick erlebt in ihrem Unternehmen in aller Regel nur die besten Seiten ihrer Mitarbeiter. Wenn sie in ihrer Firma erscheint etwa, säuseln Bürodamen und -herren in einem Ton, der einen Knicks oder Diener erwarten ließe, Freundlichkeiten entgegen. Hat die 94-Jährige bei einer Aufsichtsratssitzung wie üblich ihren Ehrenplatz eingenommen und spricht sich etwa dagegen aus, dass das Unternehmen seine Sensoren für die Rüstungsindustrie produziere, nicken die Vorstände und Aufsichtsräte brav. Das, da sind sie sich im Management des gleichnamigen Herstellers intelligenter Sensoren einig, gebührt eben der Respekt vor der Lebensleistung der Dame.
Die innovativsten deutschen Mittelständler
Lamilux
Hauptsitz: Rehau (BY)
Produkt: Lichttechnologie
Umsatz: 187 Mio Euro
Innovationsscore: 169
Windmöller Holding
Hauptsitz: Augustdorf (NRW)
Produkt: Bodenbeläge
Umsatz: 120 Mio Euro
Innovationsscore: 170
Maja-Maschinenfabrik
Hauptsitz: Kehl (BW)
Produkt: Lebensmittelverarbeitung
Umsatz: 23 Mio Euro
Innovationsscore: 171
Mekra Lang
Hauptsitz: Ergersheim (BY)
Produkt: Spiegel für Nutzfahrzeuge
Umsatz: 260 Mio Euro
Innovationsscore: 172
Brandt Zwieback
Hauptsitz: Hagen (NRW)
Produkt: Zwieback
Umsatz: 189 Mio Euro
Innovationsscore: 175
Edelmann
Hauptsitz: Heidenheim (BW)
Produkt: Verpackungslösungen
Umsatz: 235 Mio Euro
Innovationsscore: 177
Insiders Technologies
Hauptsitz: Kaiserslautern (RP)
Produkt: Software
Umsatz: 18 Mio Euro
Innovationsscore: 178
Arburg
Hauptsitz: Loßburg (BW)
Produkt: Spritzgießmaschinen
Umsatz: 548 Mio Euro
Innovationsscore: 181
Fischerwerke
Hauptsitz: Waldachtal (BW)
Produkt: Befestigungssysteme
Umsatz: 625 Mio Euro
Innovationsscore: 185
Aquatherm
Hauptsitz: Attendorn (NRW)
Produkt: Rohrleitungssysteme
Umsatz: 91 Mio Euro
Innovationsscore: 182
C. Josef Lamy
Hauptsitz: Heidelberg (BW)
Produkt: Schreibgeräte
Umsatz: 71 Mio Euro
Innovationsscore: 186
Leica Camera
Hauptsitz: Wetzlar (HE)
Produkt: Kameras
Umsatz: 276 Mio Euro
Innovationsscore: 189
Gebr. Kemper
Hauptsitz: Olpe (NRW)
Produkt: Gebäudetechnik
Umsatz: 270 Mio Euro
Innovationsscore: 190
Bahlsen
Hauptsitz: Hannover (NI)
Produkt: Süßgebäck
Umsatz: 515 Mio. Euro
Innovationsscore: 194
Rimowa
Hauptsitz: Köln (NRW)
Produkt: Koffer
Umsatz: 273 Mio. Euro
Innovationsscore: 197
Wer zu Deutschlands innovativsten Mittelständlern gehören will, muss ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen. Die Münchner Unternehmensberatung Munich Strategy Group (MSG) wertete im Auftrag der WirtschaftsWoche zunächst die Daten von 3500 deutschen Unternehmen aus, die zwischen zehn Millionen und einer Milliarde Euro Umsatz erwirtschaften: Sie analysierten Jahresabschlüsse und Präsentationen, sprachen mit Kunden, Branchenexperten, Geschäftsführern, Inhabern und Beiräten. Danach nahm MSG 400 Unternehmen in die engere Wahl. Für jedes einzelne errechneten die Berater einen eigenen Innovationsscore. „Dabei achten wir darauf, dass sich das Unternehmen durch ständige Neuerungen auszeichnet, von Wettbewerbern als innovativ angesehen wird und eine ideenfördernde Kultur etabliert hat“, erklärt MSG-Gründer und Studienleiter Sebastian Theopold die Kriterien. Zudem flossen auch wirtschaftliche Indikatoren wie Umsatzwachstum und Ertragskraft in die Bewertung ein. Theopolds Fazit: „Wer innovativ ist, wächst auch schneller und erzielt nachhaltigere Erträge.“ Die MSG-Berater analysierten bereits um dritten Mal für die WirtschaftsWoche die Innovationskraft deutscher Mittelständler (Heft 15/2014 und Heft 42/2015). Während beim ersten Ranking noch Maschinenbauer dominierten, sind nun mehr Konsumgüterhersteller unter den Siegern. Die meisten innovativen Unternehmen kommen aus Baden-Württemberg. Den ersten Platz belegt der Kölner Kofferhersteller Rimowa. Rang zwei nimmt der Keksbäcker Bahlsen ein. „Die beiden Vertreter der ,Old Economy’ sind Vorreiter bei der Digitalisierung“, sagt Studienleiter Theopold.
Formell müssen sich die Chefs im Tagesgeschäft dagegen nicht zwingend nach den Vorstellungen der Seniorin richten. Denn Gisela Sick ging, als sie vor 27 Jahren die Sick AG im badischen Waldkirch von ihrem verstorbenen Gatten erbte, einen seltenen Schritt in der deutschen Familienunternehmer-Landschaft: Sie verzichtete auf jede aktive operative Rolle für sich und ihre Familie. Stattdessen übt sich die zierliche Greisin, die noch immer bis zu zweimal die Woche am Steuer ihres BMW in die Firma fährt, in Zurückhaltung. Ihr reicht es, den Aufsichtratssitzungen beizuwohnen und als Ehrenvorsitzende das Wort ergreifen zu können. „Ich will keine Übermutter sein“, sagt sie.
Mit ihrer Selbstbeschränkung repräsentiert die Mittneunzigerin eine Sorte Familienunternehmer, die die Lenkung ihres Unternehmens konsequent und mit großem Erfolg auf Stammesfremde übertragen. Von Ehemann Erwin vor 70 Jahren in einer Nachkriegsbaracke bei München gegründet, ist Sick unter externer Leitung und Aufsicht aufgeblüht; eine verborgene Perle der deutschen Industrie, die es mit ihrem Namen bis auf den Prototyp des selbstfahrenden Autos von Google schaffte. Mit seiner Sensortechnik für Lichtsignale jeder Art gilt das Unternehmen heute weltweit als einer der führenden Produzenten in der Automatisierungstechnik und als Wegbereiter der Digitalisierung der Fertigung.
Der Umsatz der 7400-Mitarbeiter-Firma mit Dependancen etwa in Japan, den USA und Singapur hat sich seit dem Tod des Gründers 1988 auf fast 1,3 Milliarden Euro etwas mehr als verzehnfacht. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von durchschnittlich neun Prozent. Auf Messen sollen Chinesen schon angeboten haben, das Unternehmen „für jeden Preis“ zu übernehmen. Doch einen Verkauf, das steht für die Erbin unerschütterlich fest, den will und wollte nie jemand bei Sick – weder sie noch sonst einer ihrer Angehörigen, die inzwischen Miteigentümer des Unternehmens sind.