An der hohen Mauer rund um das Wiener Siemens-Werk verwittern die Plakate, der Güterwaggon vor der mit graublauem Blech verkleideten Fabrikhalle ist mit Fahrgestellen für Straßenbahnen beladen. Hier in Simmering, einem Arbeiterbezirk der österreichischen Hauptstadt, bauen gut 1000 Mitarbeiter des Münchner Konzerns Bahnen für die Welt.
Wenige Kilometer weiter, in einem Gewerbegebiet auf der anderen Seite der Donau, sieht es ähnlich aus. Vor der Werkshalle steht eine neue, grün lackierte Straßenbahn, drinnen schrauben rund 600 Arbeiter für den kanadischen Hersteller Bombardier an Bahnen. Die sollen demnächst unter anderem in Rotterdam, Innsbruck und dem australischen Gold Coast unterwegs sein.
Aus beiden Fabriken könnte bald eine werden. „Welchen Sinn hat es, in Wien zwei Standorte zu haben, wenn die Unternehmen ihr Zuggeschäft verschmelzen?“, fragt ein österreichischer Bombardier-Manager. Verschmelzung – darauf arbeiten beide Unternehmen offensichtlich hin. Insider berichten, dass die Gespräche schon seit Monaten laufen, am Ende soll ein neues Gemeinschaftsunternehmen das Geschäft mit Zügen, Lokomotiven, Steuerungstechnik sowie U- und Straßenbahnen bündeln. Ähnlich hat es Siemens bereits bei der Windkraft mit dem spanischen Hersteller Gamesa gemacht.
Weltweite Marktanteile von Herstellern elektrischer Lokomotiven
Das chinesische Staatsunternehmen CRRC ist unangefochtener Marktführer mit einem weltweiten Marktanteil von 46 Prozent.
Auf Platz zwei folgt CLW (Indien). Der Abstand zum Marktführer ist allerdings groß: 16 Prozent der elektrischen Lokomotiven weltweit kommen von CLW.
Die russische TMH bringt es immerhin auf einen Marktanteil von 12 Prozent.
Sinara (Russland) bringt es auf sieben Prozent Marktanteil.
Bombardier aus Kanada produziert sieben Prozent der weltweit eingesetzten Elektro-Loks.
Siemens kommt auf einen Marktanteil von vier Prozent bei Elektro-Loks.
Den restlichen Markt (acht Prozent) beliefern andere Unternehmen.
Auf den ersten Blick ist das durchaus sinnvoll. Mit einem gemeinsamen Umsatz von knapp 15 Milliarden Euro könnten die Konzerne ein stärkeres Gegengewicht zum chinesischen Staatskonzern CRRC bilden. Der hat zuletzt umgerechnet mehr als 32 Milliarden Euro umgesetzt und verkauft seine Bahntechnik bereits recht erfolgreich in den Schwellenländern Südostasiens und im Nahen Osten. „Der Zeitpunkt, zu dem China seine Produkte auch in Europa zugelassen bekommt, ist nicht mehr fern“, sagt Andreas Matthä, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB).
Siemens-Chef Joe Kaeser will das Sagen haben
Bis Siemens und Bombardier ihr gemeinsames Projekt aber auf die Schiene bringen, müssen sie noch diverse Fragen klären. Insider berichten, dass noch offen ist, wer dann das Sagen haben soll. Zudem stecken die Kanadier in einer schwierigen Restrukturierung. Und auch bei den Kartellbehörden wird die Fusion kein Selbstläufer.
Die wichtigsten Antworten zur möglichen Zug-Fusion
Nach Problemen in den vergangenen Jahren, etwa durch die verspätete Auslieferung von ICE-Zügen an die Deutsche Bahn, ist das Zuggeschäft von Siemens inzwischen wieder in der Spur. Heute kommt die Sparte mit Standorten unter anderem in Krefeld, Erlangen, Berlin, München und Wien auf einen Jahresumsatz von fast acht Milliarden Euro und eine Rendite von knapp 9 Prozent.
Die Bahnsparte des kanadischen Anbieters, der auch Flugzeuge baut, ist zwar ähnlich groß. Aber der Konzern steckt in den roten Zahlen und hatte im Bahngeschäft den Abbau von weltweit rund 5000 Jobs angekündigt. Unklar ist, wie stark dies die deutschen Standorte mit 8500 Beschäftigten treffen wird, darunter Hennigsdorf, Görlitz, Bautzen, Kassel, Mannheim, Braunschweig und Siegen. Das Management will seine Pläne im Juli vorstellen. Bombardier hatte erst vergangenes Jahr 1430 Arbeitsplätze in Deutschland gestrichen, um die Standorte profitabel zu machen.
Angeblich soll ein Gemeinschaftsunternehmen im Gespräch sein, das den Bau von Zügen und die Signaltechnik umfassen würde. Analysten sehen größere Synergie- und Einsparpotenziale etwa durch gemeinsame Forschung und Entwicklung sowie Lieferketten und die Zusammenführung der Produkte. Schon jetzt arbeiten die Zughersteller bei verschiedenen Projekten zusammen, so beim ICE 4, der neuesten Generation des Hochgeschwindigkeitszuges.
Ja. Schon beim Übernahmepoker um Alstom hatte Siemens versucht, seine Zugsparte mit der des französischen Konkurrenten zusammenzubringen. Und Mitte 2015 wurde auch schon einmal über eine Fusion der Zugsparten von Siemens und Bombardier spekuliert, doch die Kanadier hatten damals Verhandlungen dementiert.
Die europäischen Hersteller zittern vor allem vor der Konkurrenz aus China. Dort haben sich die beiden größten Zughersteller zum neuen Giganten CRRC zusammengetan, der alleine größer ist als die Sparten von Siemens, Bombardier und Alstom zusammen. Das sieht auch die Deutsche Bahn mit Interesse, die vor etwa eineinhalb Jahren demonstrativ ein Einkaufsbüro in China eröffnete, darüber Produkte der Bahntechnikhersteller aus der Volksrepublik sondiert und so den Druck auf die europäischen Hersteller erhöhte. „Wir suchen weltweit nach Lieferanten mit innovativen und qualitativ hochwertigen Produkten“, ließ Bahn-Chef-Einkäufer Uwe Günther damals wissen.
Vor allem das Kartellrecht gilt als Hindernis für eine Zug-Allianz in Europa. Denn mit Siemens, Bombardier und Alstom beherrschen nur drei Anbieter den Markt. Schlössen sich zwei von ihnen zusammen, könnte das gravierende Folgen für Kunden wie die Deutsche Bahn haben, sodass hohe Auflagen zu erwarten wären. Siemens macht keinen Hehl daraus, dass man diese Spielregeln für nicht mehr zeitgemäß hält. „Eine weitere Konsolidierung des Marktes wird seit langem erwartet und sollte auch kartellrechtlich mit einer globalen Sicht auf die Veränderungen betrachtet werden“, sagte Siemens-Finanzchef Ralf Thomas.
Bei Arbeitnehmervertretern in Deutschland dürfte eine Allianz wohl nur auf Zustimmung stoßen, wenn Siemens die Oberhand im zusammengeschlossenen Unternehmen behielte. Wie sich eine Fusion auf die Jobs auswirken würde, bliebe abzuwarten. Von offenem Widerstand der Arbeitnehmervertreter jedenfalls war in den vergangenen Wochen nichts zu spüren - was auch daran liegen dürfte, dass ein weiteres Erstarken der Chinesen deutlich schlimmere Folgen für die Belegschaft haben könnte als eine mögliche Allianz von Siemens und Bombardier.
Mögliche Kunden melden schon mal Bedenken an. „Es wäre nicht gut, wenn wir nur noch einen großen europäischen Anbieter hätten“, sagt ÖBB-Chef Matthä. Alstom aus Frankreich, Stadler aus der Schweiz und der italienische Hersteller Hitachi-Ansaldo sind deutlich kleiner, der tschechische Hersteller Škoda wird gerade von CRRC geschluckt. „Ein Deal dürfte nicht eins zu eins durchgehen“, sagt Maria Leenen, Chefin der auf die Bahnbranche spezialisierten Beratung SCI.
Restrukturierung schwächt die Position von Bombardier
Noch ist nicht klar, was am Ende von Bombardier noch übrig ist. Der Konzern baut gerade rund 5000 von aktuell 38.000 Stellen ab. In Deutschland, wo er etwa 8500 Mitarbeiter beschäftigt, soll der Aufsichtsrat am Donnerstag den Abbau beschließen. Insider berichten, dass rund 2700 Arbeitsplätze wegfallen sollen, auch von Standortschließungen ist die Rede. „Es gibt noch erhebliche Differenzen“, sagt ein Arbeitnehmervertreter. Zumindest auf betriebsbedingte Kündigungen soll der Konzern verzichten.
Die Restrukturierung schwächt die Kanadier in den Verhandlungen mit München. Bei den reinen Daten sehen sie ohnehin nicht gut aus. Obwohl in der „Mobility“-Division von Siemens nur rund 27.000 Beschäftigte arbeiten, liegt ihr Umsatz um eine Milliarde Euro höher als der von Bombardier, zudem ist die Sparte deutlich profitabler. Schon deshalb dürfte Siemens-Konzernchef Joe Kaeser darauf bestehen, dass das neue Unternehmen von Siemens geführt wird. Die Siemens-Arbeitnehmervertreter sehen das genauso.
Dabei baut auch Siemens Arbeitsplätze ab. Vor wenigen Wochen kündigte der Konzern an, in seinem Werk in Krefeld 300 Arbeitsplätze in der Zugmontage zu streichen. Auf der Betriebsratssitzung in dieser Woche sollen die Arbeitnehmer allerdings erklärt haben, dass sie die Gespräche erst mal langsam angehen lassen wollen. Sie wollten doch erst mal abwarten, was die Verhandlungen mit Bombardier so ergeben.