360-Grad-Kameras Filmen mit Rumdumsicht wird massentauglich

Mark Zuckerberg geht voran, und alle folgen. Mit dem Siegeszug der virtuellen Realität erleben 3-D- und 360-Grad-Kameras ein fulminantes Comeback. Auch für Hobby-Filmer sind die Geräte erschwinglich.

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Kodak zeigt ein übergroßes Modell seiner Pixpro Orbit 360 4K VR Kamera. Quelle: Reuters

Las Vegas Angela Merkel wollte es genau wissen: „Was ist denn das für ein Apparat“, fragte sie neugierig auf einer Pressekonferenz zum Auftakt des CDU-Parteitags in Essen in die Runde. Gemeint war ein kleiner Kasten mit einer Linse, der einsam und keck beim Pressetermin auf einem Stativ neben dem Pulk der Journalisten stand. „Das ist eine 360-Grad-Kamera“, kam die Antwort und die Kanzlerin ließ sich von den Journalisten interessiert erklären, was es denn damit so auf sich hat, Rundum-Bilder von seiner Umgebung zu schießen.

Sie sehen aus wie die Fotos auf Googles Street View, wo man eine Adresse eingibt und plötzlich mitten auf einer Straße steht. Die Computermaus nach links oder rechts gezogen und schon dreht man sich auf dem Bildschirm praktisch um die eigene virtuelle Achse, sieht die gesamte Umgebung.

3D-Kameras hatten eine kurze Hochzeit, als die Industrie 3-D-Fernsehgeräte als die beste Erfindung seit geschnitten Brot angepriesen hatte. Doch mit den erfolglosen 3-D-Fernsehern verschwanden auch die 360-Grad-Kameras und wanderten in die Keller.

Die Software ist der Schwachpunkt

Mit dem Aufkommen der virtuellen Realität erinnerte man sich wieder an die Technik von gestern. Spätestens nachdem Sundar Pichai von Google 2014 das billige Google Cardboard aus Pappe vorstellte, war klar, dass es einen Massenmarkt für 3-D- und 360-Grad-Kameras geben wird. Das Rennen war dann offiziell eröffnet, als Mark Zuckerberg 2016 auf der Entwicklerkonferenz in San Francisco eine eigene 360-Grad-Kamera ankündigte. Ebenso wie Googles Youtube arbeitet er mit Hochdruck daran, die Technologie für Rundum-Bilder und -Videos auf seiner Seite zu integrieren. Die Zukunft der Kameras hängt daneben von der Geschwindigkeit ab, mit der sich Brillen für Virtuelle Realität verbreiten. Der US-Konsumelektronikverband sieht hier eine gute Entwicklung für 2017: Alleine in den USA dürften 2,5 Millionen Stück verkauft werden, ein Plus von 79 Prozent, bei einem Umsatz von 660 Millionen Dollar. Hier liegt das Plus nur bei 43 Prozent, weil immer mehr preisgünstige Geräte auf den Markt kommen.

Vor zwei Jahren waren Rundum-Kameras noch unhandliche und schwere Ringe aus mehreren Geräten. Die Bilder der Kameras mussten mit komplizierter Software, oft offline an Hochleistungs-PCs, zusammengeschnitten werden, und das nicht immer mit überzeugenden Ergebnissen. Etwa räumte auch Mark Zuckerberg bei seiner Präsentation ein: Die Software ist der Schwachpunkt. 360-Grad-Fotografie war etwas für Profis wie Googles Streetview oder versierte Amateure mit viel Zeit, Geld und Geduld. Tausende von Euro können solche Anlagen auch heute noch kosten. Das Profi-Gerät Ozo von Nokia mit acht synchronen Kameras und Mikrophonen liegt häufig bei 60.000 Dollar.


Rundumkameras – die Zukunft des Videos

Doch die Technik macht rasende Fortschritte. Die Kameras des Modelljahres 2017 sind nicht größer als eine Handfläche und kosten nur ein paar hundert Euro oder weniger. Sie sehen aus wie Schokoriegel mit zwei Linsen am oberen Ende, die in entgegengesetzte Richtungen aufnehmen. Der Fotograf streckt einfach den Arm mit der Ricoh Theta S oder einer LG 360 Cam – beide um 350 Euro – in die Luft und drückt auf den Auslöser. Alternativ steht die Kamera auf einem Stativ in der Mitte des Geburtstagstisches und zeichnet ein Rundum-Video auf. Mark Zuckerberg dokumentierte im Dezember die ersten Schritte seiner Tochter per 360-Grad-Video auf Facebook. Für ihn die Zukunft des Videos.

Andere Kameras wie die kastenförmige Kodak Pixpro SP 360 nehmen mit nur einer Linse auf der Oberseite ein Rundum-Bild auf, durch das man sich zwar in einer Ebene horizontal bewegen, aber nicht nach oben oder unten schauen kann. Dafür müssen dann zwei der rund 500 Euro teuren Kameras zusammengeschaltet werden. Die Bildqualität ist deutlich besser als bei den Einsteigergeräten, aber das Budget wird auch deutlich heftiger belastet. Positiv: Das Objektiv liegt unter einer Schutzkuppel. Fällt eine Ricoh Theta S einmal mit dem Stativ um, ist die Gefahr groß, die hervorstehenden Linsen zu verkratzen. Die Kodak-Geräte empfehlen sich zudem für Video-Aufnahmen in der Auflösung von 2880x2880 Bildpunkten mit erträglichen 30 Bildern pro Sekunde.

Wer nicht auf Hollywood-Qualität und die VR-Hardware von Nokia besteht, der kann statt für 60.000 Dollar heute auch 360-Grad- und 3-D-Videos für VR-Brillen für unter 1.000 Dollar drehen. Die seit zwei Jahren angekündigte Vuze von Humaneyes wird tatsächlich ab März ausgeliefert, wurde auf der CES versprochen. Die quadratische Vuze besitzt auf jeder Seite zwei Kameras für stereoskopische Aufnahmen, die als 360-Grad oder 3D-Material ausgegeben werden können.

360-Grad-Liveübertragungen im Internet

Und die nächste Revolution steht bereits in den Startlöchern. Nun, nachdem Youtube und Facebook sowohl 360-Grad-Video und Livestreaming populär gemacht haben, liegt es nahe, beides zu verschmelzen: Das 360-Grad-Livestreaming, bevorzugt für die virtuelle Realität, zum Beispiel für Samsung Gear VR, HTC Vive oder Oculus Rift.

Hier ist Ricoh wieder Vorreiter und kündigte auf der CES in Las Vegas die Ricoh R an, die – einen Stromanschluss vorausgesetzt – bis zu 24 Stunden Live-Aufnahmen ins Internet schicken kann. Die Kamera fügt die Bilder der beiden Fish-Eye-Objektive intern in Echtzeit zusammen und ist für das erste Halbjahr 2017 angekündigt. Zunächst geht sie an Entwickler, die die Ricoh R in ihre Angebote einbinden oder Steuerungs-Apps für die Kamera schreiben wollen. Während die Theta S noch einen USB-Anschluss benötigt, um Live zu senden, soll die R ohne auskommen und kann 24 Stunden Video wahlweise auf einer SD-Karte speichern. Damit könnte sie sogar zur Online- oder Offline-Überwachungskamera taugen. Ein genauer Preis ist noch nicht bekannt.

Der 360-Grad-Liveübertragung der Hochzeitfeier im Internet oder auf Facebook steht also bald nichts mehr im Wege, Ach ja: Die Kamera, die im Dezember Angela Merkels Interesse erregte, gehörte übrigens der CDU.

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