IBM-Markenkooperation Warum Watson in die Sesamstraße zieht

IBM und die US-Version der „Sesamstraße“ machen gemeinsame Sache. Supercomputer Watson soll künftig die Vorschulbildung amerikanischer Kinder vorantreiben. Eine ungewöhnliche Markenkooperation, die Schule machen könnte.

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Das Krümelmonster bekommt Gesellschaft vom IBM-Supercomputer Watson. Quelle: dpa

Düsseldorf Wer an die Kindersendung „Sesamstraße“ denkt, dem fallen vermutlich beliebte Figuren wie das ungleiche Freundespaar Ernie und Bert, das zottelige Krümelmonster, der unheimliche Graf Zahl oder auch Oscar aus der Mülltonne ein. Eine bunte Schar an Puppenpersönlichkeiten, die sich seit 1969 anschicken, die Vorschulbildung der Kinder via Mattscheibe zu verbessern. Wenn es nach dem amerikanischen IT-Konzern IBM geht, dann kommt den Konsumenten beim Wort Sesamstraße künftig allerdings auch der Supercomputer Watson in den Sinn.

Denn Sesame Workshop, die US-Macher hinter der Kindersendung, und IBM haben einen Kooperationsvertrag unterschrieben, der drei Jahre lang für eine bislang einmalige Marken-Zusammenarbeit sorgt: Beide Unternehmen wollen gemeinsam eine Lernplattform sowie Lernsoftware entwickeln, um Vorschülern weltweit das Pauken zu erleichtern.

Dabei nutzen sie die kognitive Watson-Technologie von IBM. Das Computersystem versteht die menschliche Sprache, lernt durch Interaktion, analysiert Daten und liefert Antworten. Dieses Prinzip wendet IBM nun auf die Figuren der Sesamstraße an. US-Vorschulkinder können dann am heimischen Computer mit Krümelmonster & Co. interagieren. Sie bekommen spielerisch Lerninhalte vermittelt.

„In der letzten Generation nutzte die Sesamstraße noch das überall präsente Fernsehen, um auch solche Kinder zu erreichen, die wenig oder keinen Zugang zu Schulen und Vorschulen hatten“, sagt Jeffrey D. Dunn, Chef des Sesame Workshop. „Nun, in der Zusammenarbeit mit IBM und Watson, werden wir eine neue Generation von maßgeschneiderten Lernwerkzeugen entwickeln, mit der Kinder aus allen sozialen Schichten eine bessere und individuellere Förderung in den entscheidenden Jahren erhalten.“

Für IBM ist dies ein wichtiger Schritt. „Die Rolle von Watson für die Strategie und Entwicklung von IBM kann gar nicht hoch genug bewertet werden“, sagt Axel Oppermann, Chef des Beratungsunternehmens Avispador. Die Sparte mit der künstlichen Intelligenz könne wichtiger werden, als es das PC-Geschäft in den 1980er-Jahren war. Den Diensten rund um Watson komme bei der Steigerung von Umsatz und Gewinn in den nächsten Jahren daher die Schlüsselrolle zu. „Für IBM hängt davon sehr viel ab.“


Opel und Maybelline gehen nicht so weit

Der Schritt, eine Markenkooperation mit einem beliebten TV-Programm einzugehen, ist smart. Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz hat in den letzten Jahren Sprünge gemacht, die man vor kurzem noch nicht für möglich gehalten hat. „Die Leistungen von Produkten wie Watson sind so erstaunlich, dass sie unser Selbstbild als Mensch und was uns als solcher ausmacht, teilweise in Frage stellen“, sagt Matthias Schrader, Chef der Hamburger Digitalagentur Sinner-Schrader.

Neben den philosophischen Aspekten gebe es ganz konkrete gesellschaftliche Fragen, die wir künftig diskutieren werden, wenn Maschinen zunehmend die Arbeit der sogenannten Wissensarbeiter besser und günstiger erledigen können. „Für die Anbieter wie in diesem Fall IBM ist es daher elementar, das Thema künstliche Intelligenz positiv zu konnotieren. Dafür bietet Sesame Street sicherlich eine geeignete Plattform.“

Der IT-Konzern hat somit die Möglichkeit, die jungen Zuschauer schon im Alter von vier bis sechs Jahren in ihrer „grundsätzlichen Haltung zu Kulturtechniken, die ein inhärentes Geschäftsmodell besitzen, zu prägen“, sagt Digitalexperte Schrader. Eine Kooperation, die in Deutschland kein geeignetes Vorbild hat.

Wenige Markenkooperationen gehen einen derart umfassenden Vertrag mit den Fernsehmachern ein. Meist beschränken sie sich auf Präsenzen innerhalb des Fernsehgeschehens, wie beispielsweise der Autobauer Opel oder die Kosmetikmarke Maybelline bei dem unter jungen Frauen beliebten TV-Format „Germanys Next Top-Model“ von Pro Sieben Sat 1.

Zu den möglichen Risiken des Zusammenspiels der beiden ungleichen Partner meint Markenexperte Schrader: „In den 70ern wurde intensiv darüber diskutiert, ob Kinder durch die Sesame Street tatsächlich vorschulrelevante Inhalte lernen oder – getreu dem Marshall McLuhan'schen Motto 'The medium is the message' — eher auf das Fernsehen konditioniert werden. Eine solche Rezeption der Kooperation ist nicht ausgeschlossen — sind Maschinen die besseren Lehrer?“ 

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