Löschregeln Was bei Facebook erlaubt ist

"Hate speech" muss konkret und bedrohlich sein, damit sie gelöscht wird. So steht es in den Kommentarregeln von Facebook, die der englische "Guardian" veröffentlicht hat. Was noch gepostet werden darf - und was nicht.

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Welche Kommentare werden auf Facebook gelöscht, welche nicht? Die britische Zeitung

Die globale Debatte um Hasskommentare im Netz wurde über Nacht befeuert: Die britische Zeitung „The Guardian“ hat nun die internen Löschungsrichtlinien von Facebook veröffentlicht. Kurz: Es wird nur dann gelöscht, wenn es eine konkrete Bedrohung gibt.

Kommentare wie „Jemand soll Trump erschießen“ müssen gelöscht werden. Wenn es sich nicht um den US-Präsidenten handelt, sind die Kommentare erlaubt. So darf zum Beispiel die nichtkonkrete Beschreibung, wie man einer Frau das Genick brechen soll, stehen bleiben. Laut interner Facebook-Richtlinie werden sie nicht als glaubwürdige Drohung verstanden. „Fick dich und stirb“ werde akzeptiert, weilkeine berühmte Persönlichkeit angesprochen wird. Manchmal ist auch die Personengruppe zu diffus, zum Beispiel wenn jemand Gewalt an „einer rothaarigen Person“ fordert.

Mehr als 100 Handbücher, Tabellen und Grafiken gaben der Zeitung einen bisher unbekannten Einblick in die Regeln, die Facebook benutzt, um Probleme im Netz zu zensieren. Es geht um Gewalt, Hasskommentare, Terrorismus, Pornographie, Rassismus und Selbstverletzung. Es gibt sogar Richtlinien für Spielabsprachen und Betrugsskandale.

Verhängnisvolle Posts, die den Job kosten können
Ein Auktionator bei einer Kunstauktion mit dem Hammer den Zuschlag. Quelle: dpa
Wer seinen Ausbilder als Menschenschinder und Ausbeuter bezeichnet, fliegt Quelle: Fotolia
Hamburger Band Deichkind Quelle: dpa
„Ab zum Arzt und dann Koffer packen“Urlaub auf Rezept? Eine Auszubildende aus Nordrhein-Westfalen schrieb bei Facebook: "Ab zum Arzt und dann Koffer packen." Das las der Ausbilder und fand es gar nicht komisch. Er kündigte der Auszubildenden fristlos. Sie zog vor Gericht. Das Argument der Verteidigung lautete übrigens, dass die Auszubildende wegen ihrer Hautkrankheit Neurodermitis Urlaub bräuchte. Spätestens als die aber sagte: "Ich hätte eh zum 31. Mai gekündigt" war klar, woher der Wind weht. Beide Parteien einigten sich auf eine Zahlung von 150 Euro ausstehenden Lohn und ein gutes Zeugnis. Quelle: dapd
Facebook-Nutzung trotz Kopfschmerzen Quelle: Fotolia
"Speckrollen" und "Klugscheißer" Quelle: AP
Eine Lehrerin bezeichnete sich als "die Aufseherin von künftigen Kriminellen" Quelle: dpa

Die rechtliche Grundlage für Hasskommentare im Netz und deren Löschung ist nicht klar; so versuchte jüngst der Bundesjustizminister Heiko Maas einheitliche Maßstäbe in einem neuen Gesetzdurchzubringen. Dass nun Facebooks Regeln bekannt sind, hilft der besseren Kommunikation. Auf der anderen Seite alarmieren diese neuen Erkenntnisse die Befürworter der Meinungsfreiheit, die Facebook als großes Netzwerk der Zensursehen.

Es geht in den Dokumenten nicht nur um Posts und Kommentare, sondern auch um Bilder. Manche Fotos von physischem, nicht sexuellem, Missbrauch müssten nicht gelöscht oderverfolgt werden, solange es keinen sadistischen oder feiernden Charakter hat. Die Frage bleibt: Wo ist die Grenze?

Nutzerzahlen der bekanntesten sozialen Medien

Das können die Facebook-Insiderselbst nicht genau sagen. Monika Bickert, Chefin des globalen Richtlinienmanagements von Facebook, sagte dem Guardian, dass rund zwei Milliarden Nutzer auf Facebook wären, es also schwierig wäre, einen Konsens für jeden zu finden. Die Leute hätten verschiedene Vorstellungen davon, was in Ordnung wäre zu teilen und was nicht, zumal in einer globalen vielfältigen Gesellschaft. Ein Beispiel von Bickert: „Die Linie zwischen Satire und Humor und unangemessenem Inhalt ist sehr dünn.“

Außerdem wurde bekannt, dass sich die für die Regulierung und Löschung Zuständigen über den immensen Druck und über das hohe Arbeitspensum beklagen: Oft müssten sie sich innerhalb von nur zehn Sekundenentscheiden, ob sie einen Kommentar löschen oder nicht, heißt es in dem Guardian-Bericht.

von Katharina Matheis, Simon Book, Marc Etzold, Max Haerder, Astrid Maier, Cordula Tutt, Silke Wettach

Laut dem Dokument durchsucht Facebook mehr als 6,5 Millionengemeldete Kommentare pro Woche, die wahrscheinlich mit einemfalschen Account zusammenhängen. Facebook nennt diese Accounts FNRP(„fake, not real person“), was für einen Account steht, hinter dem sich keine reale Person verbirgt.

Facebook löscht keine Livestream-Videos, in denen Leute versuchen, sich selbst zu verletzen. Die Begründung dürfte manche verwundern: Der Konzern möchte nicht, dass Leute in Not zensiert oder gar bestraft werden, weil sie ihr Elend nicht zeigen können. Videos von gewaltsamen Todesfällen seien verstörend, könnten aber helfen, ein Bewusstsein zu schaffen. So viele Kommentare es auch gibt, so sehr muss Facebook dahinterstehen, Hass und Terror im Netz zu löschen. Eine Richtlinie bringt etwas mehr Klarheit, doch es ist ungewiss, wie sehr Facebook alle Kommentare im Blick hat. Auf der anderen Seite alarmieren diese neuen Erkenntnisse die Befürworter der Meinungsfreiheit, die Facebook als großes Netzwerk der Zensur sehen.

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