Das Galaxy Note 7 sollte das Flaggschiff von Samsung werden und die Südkoreaner als Innovationsführer etablieren. Die Hoffnungen sind in Rauch aufgegangen. Nun hat sich Samsung für die radikalste Lösung entschieden und das Note 7 komplett vom Markt genommen. Wie groß ist das Desaster für die Marke Samsung?
Jürgen Gietl: Kurzfristig ist es ein großes finanzielles und imagemäßiges Desaster. Schlimmer als der Stopp ist aber die weltweite, negative Propaganda in Flugzeugen: Auf fast allen Flügen wird im Augenblick täglich Millionen von Passagieren klargemacht, dass Samsung gefährlich ist. Stellen Sie sich das Gefühl vor, das bei den Besitzern dieses Handys entsteht. Diese Reichweite mit dieser emotionalen Wirkung wäre im positiven Fall unbezahlbar.
In dieser Form dagegen könnte Samsung wohl gut darauf verzichten. Wie nachhaltig ist der Ruf der Marke geschädigt?
Anders als bei westlichen Technologiemarken sind asiatische Unternehmen hinter solch starken Marken Mischkonzerne. Das Problem mit einem Akku wird vermutlich nur kurz und nur wenig Auswirkung auf das Geschäft in der Schwerindustrie haben. Außerdem hat die repräsentative Technologiemarken-Studie von BrandTrust aus dem letzten Jahr gezeigt, dass die Marke Samsung überdurchschnittlich resilient, also agil und stabil, ist. Stabil gegen Widrigkeiten, agil um sich ständig weiter zu entwickeln. Deshalb ist zu erwarten, dass Samsung dieses Problem überstehen wird.
Die Akkus waren zunächst von einer eigenen Tochtergesellschaft geliefert worden, nach der Rückrufaktion von einem dritten Hersteller. Trotz des neuen Produzenten: die Akkus einiger Ersatzgeräte fingen ebenfalls Feuer. Inwieweit gefährdet das das Vertrauen der Kunden in andere Samsung-Elektronikgeräte?
Vertrauen entsteht durch bewiesene Kompetenz, Wohlwollen und Integrität gegenüber Geschäftspartnern, Mitarbeitern und Kunden. Alle drei Aspekte erfüllt Samsung bei diesem Problem nicht. Völlig egal, wer der Zulieferer ist, der Name Samsung steht auf dem Smartphone. Das gilt auch für alle anderen Endgeräte, die Samsung liefert. Somit ist das Vertrauen in die Marke beeinträchtigt. Wie lange und wie stark diese Beeinträchtigung anhält, hängt weniger davon ab, wie und wie schnell Samsung das Problem in den Griff bekommt, sondern wie lange im Flugzeug beim Start noch verboten wird, ein Samsung Handy zu benutzen.
Wie sich Samsungs Debakel mit dem Note 7 2016 entwickelte
Samsung stellt das „Phablet“ mit der Bildschirm-Diagonale von 5,7 Zoll vor. Das Vorzeigemodell soll im oberen Preissegment spielen, in dem Apple mit seinen iPhones stark ist. Der Finanzdienst Bloomberg berichtet später, Samsung habe sich beeilt, es deutlich vor dem September-Marktstart des iPhone 7 auf den Markt zu bringen.
Das Galaxy Note 7 kommt in mehreren Ländern in den Handel. Nach und nach gibt es Berichte von Nutzern über brennende oder zumindest überhitzte Telefone. Ein Überblick über das Ausmaß des Problems fehlt zunächst.
An dem Tag, an dem das Note 7 unter anderem auch in Deutschland breit in den Handel kommen sollte, gibt Samsung eine weltweite Rückrufaktion bekannt. Zunächst ist von 35 bestätigten Zwischenfällen die Rede.
Die US-Flugaufsicht FAA und dann auch ihr europäisches Pendant EASA verbieten, Geräte des Modells in Flugzeugen zu nutzen oder aufzuladen. Sie dürfen auch ausgeschaltet nicht ins aufgegebene Gepäck.
In den USA gibt es auch einen offiziellen Rückruf über die Verbraucherschutz-Behörde CPSC. Dabei werden deutlich mehr Fälle bekannt. Allein in dem Land seien demnach 26 Verbrennungen und 55 Fälle von Sachbeschädigung gemeldet worden.
Samsung leitet den Austausch der Geräte in Deutschland ein. Zugleich wird der Verkauf von Beteiligungen an anderen Tech-Unternehmen im Wert von rund einer Billion Won (etwa 800 Mio Euro) bekannt. Die Kosten des Rückrufs für Samsung werden auf mindestens eine Milliarde Dollar (rund 900 Millionen Euro) geschätzt.
Die südkoreanische Behörde für Technologie und Standards (KATS) fordert von Samsung vor der Wiederaufnahme des Verkaufs zusätzliche Sicherheitsprüfungen. Unter anderem solle jede Batterie für das Gerät einem Röntgentest unterzogen werden.
Samsung kündigt an, dass das Note 7 in Europa am 28. Oktober wieder regulär in den Handel kommen soll.
Ein gerade ausgeschaltetes Note 7 gerät in einem Flugzeug, das vor dem Abflug noch am Gate steht, in Brand. Nach Darstellung des Besitzers ist es bereits ein Austauschgerät.
Es werden vier weitere Fälle bekannt, in denen US-Verbraucher von Bränden mit Ersatzgeräten berichten. Zwei davon füllen demnach in der Nacht ein Schlafzimmer mit Rauch. Ein Telefon soll sich in den Händen eines 13-jährigen Mädchens in einer Schule entzündet haben. Die Mobilfunk-Anbieter AT&T, Verizon und T-Mobile US geben an ihre Kunden gar keine Note 7 mehr heraus.
Mehrere Medien berichten, Samsung setzte die Produktion des Geräts erneut aus. Vom Unternehmen heißt es dazu nur, die Produktionsplanung werde „vorläufig angepasst“.
Samsung stoppt den Verkauf des Note 7 erneut. Kunden werden aufgefordert, auch die Ersatzgeräte nicht mehr zu benutzen. Samsung ermutigt sie zudem, ihre Geräte gegen andere Modelle einzutauschen oder sich den Kaufpreis zurückerstatten zu lassen.
Nach Informationen der koreanischen Tageszeitung Hankyoreh hat Samsung die ausgebrannten Telefone nicht genau untersucht, sondern lediglich die Akkus ausgetauscht. War es nach dem gescheiterten Rückruf der richtige Schritt, das Note 7 komplett vom Markt zu nehmen?
Es war der einzig mögliche Schritt. Technologiemarken liefern heute komplette Systeme. Scheinbar geht es hier nicht um einzelne Komponenten eines Zulieferers, sondern um ein Problem des Gesamtsystems dieses Smartphones. Starke Technologiemarken müssen die Verantwortung für das Gesamtsystem übernehmen, sonst werden sie immer weniger in der Lage sein, ihr Markenversprechen zu halten.
Die Kosten für den ursprünglichen Rückruf schätzten Analysten auf rund eine Milliarde Euro. Analysten der Schweizer Bank Credit Suisse rechnen nun mit einem Minus von bis zu 17 Milliarden Euro. Glauben Sie, das Unternehmen wird sich von den Folgen der Note-7-Debakels erholen?
Es geht um ein Problem eines Produktes. Die Marke Samsung zu zerstören, wird genauso lange dauern, wie es gebraucht hat, die Marke aufzubauen. Wichtig ist aber dennoch, die Ursachen des Problems zu ermitteln, damit es an der Oberfläche nicht mehr auftreten kann.
Wie bewerten Sie die Kommunikation und das Krisenmanagement des Konzerns?
Krisenmanagement ist der direkte Weg, die Haltung hinter einer Marke zu entlarven. Denn in der kurzfristigen Krise wird das Wertesystem durch intuitive Handlungen spürbar. Samsung hat sich schwerfällig gezeigt und das Problem unterschätzt. Krisenmanagement setzt ein, bevor die Krise in der Öffentlichkeit sichtbar wird. Somit hat das Krisenmanagement bei Samsung versagt.
Der Produktrückruf zumindest wird effizient abgewickelt. Rettet das die Marke?
Diese Art der Abwicklung ist das Mindeste, was Samsung leisten kann. Die Maßnahme vermittelt den Eindruck, dass Samsung ernsthaft an der Wiedergutmachung interessiert ist. Eine Haltung, die man bei VW bis heute vermisst.
Der Zeitpunkt könnte für Samsung kaum schlechter sein. Apple hat mit dem iPhone 6 Displayprobleme, von denen Samsung hätte profitieren können. Und Google bringt mit dem Pixel nun selbst ein hochklassiges Gerät auf den Markt. Gefährdet das Samsungs Stellung auf dem Smartphone-Markt nachhaltig?
Im Kopf der Kunden hat Samsung die Vormachtstellung erst einmal verloren. Das Ganze kann Samsung auch insgesamt die Vormachtstellung auf dem Handymarkt kosten, denn der Handymarkt ist extrem schnelllebig und volatil. Entscheidend wird sein, wie schnell Samsung für Ersatz sorgt und die nicht verkaufbaren Mengen durch andere Modelle ausgeglichen werden können.