Start-up-Wettbewerb Ein Geek auf der sündigen Meile

Start-ups sind längst Pop. Doch beim Gründerwettbewerb des Reeperbahn-Festivals setzt sich ein Technik-Geek gegen Show-Talente durch. Seine Idee könnte Online-Shops mehr Käufer bringen.

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Kunstaktion mit Drohne beim Reeperbahn-Festival: Nicht nur beim Start-up-Wettbewerb gab es Flug-Roboter. Quelle: dpa

Hamburg Felix Gessert ist nicht unbedingt ein großes Show-Talent, sondern eher als einer, den man als „Technik-Geek”, umgangssprachlich also als „Technik-Streber” bezeichnen würde. Ein wenig deplatziert wirkt der 28-Jährige auf der hell ausgeleuchteten Bühne des Musikclubs Grünspan auf St. Pauli. Gessert redet davon, Daten in der Nähe von Nutzern zwischenzuspeichern, von Sekundenbruchteilen Zeitersparnis, von technischen Details. Vor allem aber redet er davon, dass die Technik seines jungen Unternehmens Baqend ermöglicht, Webseiten deutlich schneller zu laden als ähnliche Konzepte von Riesen wie Microsoft und Google.

Damit gelang Gessert beim Start-up-Wettbewerb auf dem Hamburger Reeperbahn-Festival ein Kunststück: Er überzeugte ebenso die Jury aus Fachleuten wie dem Xing-Gründer Lars Hinrichs, Höhle-der-Löwen-Investor Ralf Dümmel und Claire England vom Texas Angel Network wie das Publikum. Dabei hatten die vier anderen Finalisten um den Hauptpreis – Werbemöglichkeiten im Wert von 100.000 Euro – deutlich griffigere Ideen.

Nicolas Chibac etwa hätte eigentlich einen großen Auftritt haben können. Sein Unternehmen Spherie kombiniert 360-Grad-Kameras mit fliegenden Drohnen. Entsprechend ließ er eine Drohne durch den Saal fliegen – erlebte aber den Albtraum jedes Pitches: Die Präsentationstechnik streikte, die Leinwand blieb schwarz. Der Applaus für die 20.000 Euro teuren Drohen fiel so eher mitleidig aus.

Mehr Erfolg hatten die Gründer von Uberchord. Mit seiner App zum Gitarre-Lernen überzeugte Simon Barkow-Oesterreicher die Jury, die ihn auf dem zweiten Platz sah. 225.000 Downloads konnte er vermelden, dazu gute Kritiken im App-Store. Eine Web-Community soll ab Oktober Umsätze aus der kostenfreien App generieren, bald auch Anwendungen für Klavier und Gesang dazu kommen. „Das erinnert mich daran, wie ich mal versucht habe, Klavier zu lernen – und es richtig genervt hat“, lobte Jury-Mitglied Hinrichs die Idee, mehr Spaß am Musizieren zu wecken.

Schon recht weit ist das Hamburger Start-up Sponsoo, das Sportler und Sponsoren zusammenbringt. Eine Finanzierungsrunde über 300.000 Euro sei bereits abgeschlossen, 2016 werde der Umsatz wohl sechsstellig sein, 2017 dann die Million überschreiten, hoffte Gründer Andreas Kitzing. Und auch die fünfte Kandidatin, Enri Chantal Strobel, kommt vom Sport. Die Polo-Reiterin aus Bergstedt bei Hamburg entwickelt mit ihrem Start-up Horseanalytics eine Abwandlung der Sportler-Armbänder für Pferde.

Ein Sensor am Halfter soll zeigen, wann sich das Pferd bewegt und ob es sich wohlfühlt. Schließlich sind die meisten Pferde die meiste Zeit von ihren Besitzern entfernt in einem Stall zur Pflege. „Wir Pferdebesitzer fragen uns deshalb oft: Wie fühlt sich unser Pferd wohl genau jetzt“, sagte sie – und wird es wirklich so gepflegt wie versprochen. Allerdings: Einige Konkurrenten arbeiteten an ähnlichen Konzepten, sagte die Gründerin. Ihre Hoffnung, mehr Funktionen in ihrer Technik zu vereinen als die Konkurrenz, konnte die Jury allein wohl nicht überzeugen.


Lieber Börsengang als Verkauf an einen Internetgiganten

Erfolgsrezept des Siegers Baqend (sprich: Backend) ist die Hoffnung auf einen Technologievorsprung. Das Unternehmen ist aus Doktor-Arbeiten der vier Gründer um Gessert entstanden. Insofern ist es eine Gründung aus der Universität Hamburg, unterstützt zunächst durch ein Exist-Gründerstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums, dann durch das Programm „InnoRampUp” der Stadt Hamburg. Gessert hofft jetzt, Business Angels anlocken zu können. Die Chancen stehen wohl gut: Aus der Jury hieß es, Konzerne wie Google könnten durchaus daran interessiert sein, die Technik innerhalb von zwei Jahren zu kaufen.

Gessert jedoch will lieber unabhängig bleiben – schließlich steckten 20 Mann-Jahre Forschung in der Technik. „Wir selbst sind durch den langen Forschungsvorlauf, den unser Projekt hat, eher daran interessiert, Baqend selbst groß zu machen. Einen Börsengang in einigen Jahren finden wir wesentlich spannender als den Verkauf an einen Internetgiganten oder Folgeinvestor“, sagte er dem Handelsblatt.

Noch ist das Unternehmen davon entfernt: 2014 kamen 35.000 Euro Umsatz zusammen, dieses Jahr sollen es rund 75.000 Euro werden. Derzeit seien große Teile der Dienste kostenlos, um die Nutzerbasis zu steigern, sagte Gessert. Später will er auch dafür Geld verlangen. Mögliche Kunden sind vor allem Online-Shops – schließlich springen Kunden seltener im Kaufprozess ab, wenn die Seiten sich sehr schnell aufbauen. Fünfmal schneller als die Konkurrenz will Baqend sein.

Als Sieger des Wettbewerbs kann Gessert nun auch an der großen US-Start-up-Konferenz SXSW (South by South-West) in Texas teilnehmen, die den Hamburger Wettbewerb zusammen mit der Initiative Hamburg Start-ups veranstaltete. Das kann ein Schritt zu noch größerer Aufmerksamkeit sein: Der Sieger von Startups@Reeperbahn aus dem Jahr 2013, die Anti-Tinnitus-App Tinnitracks, setzte sich als erstes deutsches Start-up bei dem Wettbewerb in Texas als Sieger des SXSW Accelerator durch – wie Gessert mit Inhalten statt Show.

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