„Wären Sie bereit zu einem kurzen Gespräch zum Thema Digitalisierung?“ Diese eigentlich unverbindliche Frage scheint vielen Mittelständlern Angstschweiß auf die Stirn zu treiben. Für sie ist Digitalisierung noch immer ein Tabu-Thema. Eine Antwort, was beim Thema Digitalisierung in den Köpfen des deutschen Mittelstands vorgeht, versucht die Studie „Psychologie der Digitalisierung“ zu eben. Erhoben hat sie die Innovative Alliance, ein Verbund von Partnern aus der IT-Branche, darunter Unternehmen wie Cisco, Damovo oder Inneo Solutions.
Für die Studie wurden 500 Entscheider in mittelständischen Betrieben befragt. Dabei erkundigte die Innovation Alliance nicht allein danach, was Digitalisierung für die Entscheider bedeutet – sie fühlten den Puls und horchten nach, wie sie das Thema empfinden. Die Ergebnisse gewähren einen ernüchternden Einblick in die Gefühlswelt derjenigen, die über die Zukunft ihrer Unternehmen entscheiden. Mehr als Dreiviertel der Befragten halten Digitalisierung zwar für notwendig, doch rund jeder Zweite hält sie für ein Wagnis. Negative Emotionen wie Angst gehören beim Thema für viele klar dazu.
Laut den Studienmachern sehen Mittelständler Digitalisierung als große Herausforderung an, für die außergewöhnliche Fähigkeiten notwendig sind, die sie nicht leisten könnten. Deshalb gehöre zur Digitalisierung ein gewisses Unwohlsein – und damit allein schon ein emotionales Hemmnis, so das Fazit der Autoren.
Dabei ist der Schritt in die Digitalisierung für den deutschen Mittelstand immens wichtig. Gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), die sich entsprechend wappnen, könnten häufig ihre Leistungen schnell verbessern. Das besagt eine im Februar veröffentlichte globale Studie des Marktforschungsinstituts IDC im Auftrag von SAP. Vier von fünf KMU sehen schnell die Vorteile der Digitalisierung durch niedrigere Kosten, höhere Produktivität der Mitarbeiter oder mehr Absatz. Und wer nicht mitzieht, könnte irgendwann abgehängt werden.
Ihre Mitarbeiter sind sich der Gefahren durchaus bewusst. Laut einer Umfrage des Personaldienstleisters Randstad sehen deutsche Arbeitnehmer ihr Land schon heute als rückständig beim Thema Digitalisierung. In 33 Ländern wurden Arbeitnehmer unterschiedlicher Branchen befragt – in Deutschland allein 400 Menschen zwischen 18 und 65 Jahren. Nur etwas mehr als die Hälfte der deutschen Teilnehmer war der Ansicht, dass ihr Arbeitgeber für eine Umstellung auf die Digitalisierung gerüstet sei. Ein schlechter Wert im Vergleich. Die befragtenen Niederländer waren zu 65 Prozent überzeugt, dass ihre Arbeitgeber die nötigen Vorbereitungen treffen, in Norwegen galt das gar für 81 Prozent der Befragten.
Digital or dead: So überleben Sie die digitale Zukunft
Die Digitalisierung wird mittelfristig das Kerngeschäft der meisten Unternehmen beeinflussen. Führungskräfte müssen analysieren (lassen), wie sich die Spielregeln für ihre Branche verändern und die einzelnen Herausforderungen zu ihrer persönlichen Agenda machen.
Quelle: Digital or dead von Serhan Ili und Ulrich Lichtenthaler
Viele Firmen konzentrieren sich darauf, vor allem die Effizienz ihrer Produktion durch neue Technologien zu stärken. Wer sich aber ausschließlich auf technologiegetriebene Effizienzsteigerung konzentriert, verschenkt in Zukunft Wachstumschancen. Denn diese entstehen durch digitale und analoge Innovationen.
Führungskräfte müssen besonders vielversprechende digitale Lösungen für ihr Unternehmen identifizieren. Wenn sie ein oder mehrere Tools in der engeren Auswahl haben, sollten sie das Ausprobieren der Software im Unternehmen fördern.
Neben dem kurzfristigen Ausprobieren müssen Unternehmen auch langfristig für ihre IT-Zukunft planen. Schließlich sollen die neuen Softwarelösungen, die zum Geschäftsmodell passen, auch in die bestehende Unternehmens-IT integriert werden.
Der Ausgangspunkt der Digitalisierungsinitiative sollte keinesfalls die IT sein. Vielmehr sollten die damit befassten Entscheider zunächst ein klares Bild davon haben, welchen Nutzen die Digitalisierung dem Unternehmen bringen sollte. Auf dieser Grundlage sollte alsdann zunächst ein passendes Geschäftsmodell für die digitalen Aktivitäten entwickelt werden, bevor dieses dann innerhalb der IT tatsächlich umgesetzt wird.
Eine zentrale Gefahr für Industrieunternehmen ist das Auftreten neuer Komplettlösungsanbieter wie Uber, die direkt an der Schnittstelle zum Kunden arbeiten und diese besetzen. Umgehen kann man diese Gefahr mit der Entscheidung für eine interne Digitalisierungslösung.
Eine Stelle wie die des CDO zu schaffen, der die Digitalisierungsbemühungen koordiniert, ist sehr hilfreich. Der Chief Digital Officer braucht aber auch genügend Macht und Einfluss innerhalb des Unternehmens. Wenn sein Posten nur eine Alibifunktion innehat, nützt das wenig.
Über die koordinierende Funktion des Chief Digital Officers hinaus beinhaltet die Digitalisierung eines Unternehmens üblicherweise weitere, größere Veränderungen, die ein gewisses Maß an Beteiligung des ganzen Unternehmens erfordert. Die Unternehmenslenker müssen eine überzeugende Digitalisierungsgeschichte entwickeln, um die Einsatzbereitschaft aller Beteiligten sicherzustellen.
Unternehmen müssen bewegliche und flexible Innovationsprozesse anstoßen und weiterentwickeln - zumindest als Ergänzung für traditionellere, systematische Prozesse. Darüber hinaus ist es unabdingbar, ganze Produktlösungen innerhalb des geschäftlichen Umfelds zu optimieren, anstatt nur einzelne Produktspezifika zu verändern.
Digitalisierung erfordert neue Kompetenzen und beinhaltet oft die Veränderung bekannter und bewährter Geschäftsmodelle. Daraus folgt, dass Unternehmen offen für Hilfe von außen, nämlich von Digitalisierungsexperten, sein sollten, um den größtmöglichen Nutzen aus Innovation und den dazugehörigen Kompetenzen ziehen zu können.
„Stark ausbaufähig“ nennt denn auch das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in einer Studie aus dem vergangenen Jahr die Digitalisierung in mittelständischen Unternehmen in Deutschland. Lediglich ein Fünftel der Mittelständler habe bislang überhaupt mit der digitalen Vernetzung begonnen.
"Es ist ganz klar ein Mentalitätswandel notwendig“, sagt Barbara Engels, Economist für Strukturwandel und Wettbewerb beim Institut der Wirtschaft (IW) Köln. „Im Mittelstand herrscht eine gewisse Angst vor der Veränderung. Wir sehen, dass beispielsweise Change-Management sehr schwierig ist.“