Klatschspalte

Hannover Messe – Branchentreffen der Rückständigkeit

Die Hannover Messe ist kein Schaufenster unternehmerischer Leistungsfähigkeit, sondern reine Geldverschwendung. Ein Abgesang.

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Serdar Somuncu ist Kabarettist und Buchautor. Quelle: Laif

Irgendwie habe ich ein zwiespältiges Verhältnis zu Messen. Für mich sind diese Events nichts anderes als Treffen schlecht angezogener Verkäufer und Vertreter, die sich tagsüber in eine riesige Halle einschließen, mit Visitenkarten bewerfen und abends im Drei-Sterne-Hotel dann billige Pornos gucken, die sie am Morgen der Abreise an der Rezeption geflissentlich verschweigen wollen.

Messen gibt es immer und für alles. Es gibt Spielzeugmessen, Möbelmessen, Erotikmessen und Buchmessen, es gibt Musikmessen und Lebensmittelmessen. Es gibt sogar Esoterikmessen. Es gibt große und kleine Messen, wichtige und unwichtige. Aber manchmal gibt es auch Messen, die mehr sind als nur ein Stelldichein der Hersteller und Produktvermarkter.

Die Mutter aller Messen ist die seit 1947 stattfindende Hannover Messe. Sie ist die weltweit bedeutendste Industriemesse und findet auf dem größten Messegelände der Welt statt. Fast 200.000 Menschen besuchten allein im vergangenen Jahr die vier Tage lang dauernde Messe mit Ausstellern aus 74 Ländern. Selbst die Politik gibt sich die Ehre. Die Kanzlerin hält eine kluge Rede zur Bedeutung der deutschen Exportwirtschaft, und Lobbyisten, Unternehmer und Vorstandsvorsitzende nicken wohlwollend aus der ersten Reihe (manche auch ein). Man versichert sich gegenseitig der großen Bedeutung, die das Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft hat, und anschließend verliert man sich wieder aus den Augen.

Letztendlich ist eine Messe nichts anderes als reines Socializing for nothing. Es gehört zum Image einer Company, sich adäquat auf einer Messe zu präsentieren; eine glaubwürdige Aussicht auf Umsatzsteigerung ist damit nicht verbunden. Messen sind Branchentreffen von Leuten, die es sich leisten können, für nichts Geld auszugeben, um am Ende nicht so dazustehen, als hätte man sich sein Ansehen nichts kosten lassen.

In Wirklichkeit tauscht man sich heute nicht am Messestand über die Neuheiten der Branche aus, sondern im Internet, in Meetings oder auf Bildungsreisen. Das Business hinkt so in gewisser Weise seiner eigenen technischen Entwicklung hinterher. Und das für teures Geld. Würde man beispielsweise allein die Kosten der Hannover Messe als Investitionszuschuss für ambitionierte Unternehmen verwenden, so hätte man einen weitaus größeren Mehrwert als das gängige Herumgeprotze mit der eigenen Idee von Wachstum und Innovation. Deshalb sind die meisten wichtigen Unternehmen auch mittlerweile gar nicht mehr ernsthaft auf Messen zu finden, sondern lassen sich nur noch durch kärgliche Standdummies vertreten.

Vom Robo-Tentakel bis zur Mini-Kanzlerin
Eröffnung mit Amtskollegin aus PolenMit dem traditionellen Rundgang von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Montag die Hannover Messe für Besucher begonnen. Die CDU-Politikerin hatte die als weltgrößte Industrieschau geltende Messe am Vorabend zusammen mit Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo aus dem diesjährigen Partnerland offiziell eröffnet. Quelle: dpa
Mit Blick auf Polen sagte die Kanzlerin: „Unsere beiden Länder verbindet heute ja weit mehr als nur eine gemeinsame Grenze.“ Polen hätte letztlich auch dazu beigetragen, dass die deutsche Trennung der Geschichte angehöre. „Das werden wir nicht vergessen“, erklärte sie. Die bilateralen Beziehungen seien ein Beispiel für den Offenheitsgrad der deutschen Wirtschaft. Quelle: dpa
Am Siemens-StandKonzernchef Joe Kaeser zeigt den beiden Regierungschefinnen einen 3D-Drucker. Die fünftägige Hannover Messe ist im 70. Jahr ihres Bestehens erneut dem Leitthema der vernetzten Industrie gewidmet Quelle: REUTERS
Mini-KanzlerinDer Siemens-Chef schenkte Merkel eine Miniaturversion der Kanzlerin aus dem 3D-Drucker. Bei der Eröffnungsfeier am Sonntag hatte die Bundeskanzlerin eindringlich für offene Märkte plädiert. Abschottung und Protektionismus führten auf Dauer immer wieder zu Verlusten, warnte sie. Quelle: dpa
Roboter-Tentakel am Stand von FestoRoboter sind das Trendthema der Messe. Vor allem die Industriehelfer ermöglichen, in immer neue Dimensionen vorzustoßen. Ob in der Fertigung, der Logistik oder im privaten Haushalt: die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter wird ausgefeilter. Quelle: Reuters
Leichtbauroboter „Bionic Cobot“Der Hersteller Festo präsentiert einen pneumatischen Leichtroboter, der dem menschlichen Arm nachempfunden ist und feinfühlige Bewegungen ausführt. Quelle: dpa
Vorteile der DigitalisierungDigital vernetzte Industrieanlagen, wie sie etwa der Roboterhersteller Kuka zeigt, verkürzen nicht nur die Produktionszeit, sondern ermöglichen auch größtmögliche Flexibilität beim Herstellungsverfahren. Messebesucher etwa können sich vom Smartphone innerhalb von 15 Minuten ein komplettes Puzzle fertigen lassen. In der Praxis ermöglicht das etwa die schnelle Integration von Sondermodellen im laufenden Fertigungsprozess. Quelle: dpa

Die Einzigen, die davon profitieren, dass dieser institutionalisierte Irrsinn, bei dem Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis mehr zueinander stehen, stattfindet, sind die Messebetreiber – und die Hotels in der unmittelbaren Umgebung der Städte, in denen die Messen stattfinden.

Und so hat sich dieser eigentliche Nebenaspekt zum Hauptzweig einer ursprünglich gar nicht so schlechten Idee entwickelt. Ohne Messen wären zwar viele Hotels um zahlreiche Übernachtungen ärmer und wir nicht unbedingt auf dem letzten Stand unternehmerischer Entwicklungen. Vor allem aber hätten wir eine Menge Aufwand und Zeit gespart, die wir an anderer Stelle besser gebrauchen könnten. Zum Beispiel auf einem Betriebsausflug?

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