Verunreinigte Blutskonserven Entschädigungsfonds für HIV-Infizierte reicht nur noch bis 2018

In den 1980er wurden hunderte Patienten über verunreinigte Blutskonserven mit dem HIV-Virus infiziert. Für sie wurde eine Stiftung gegründet – der allerdings das Geld auszugehen droht.

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Der Stiftung für die Opfer des Skandals um verunreinigte Blutskonserven aus 1980er Jahren geht das Geld aus. Quelle: dpa

Berlin Es ist eine schreckliche Geschichte. Sie spielt in den 1980er-Jahren, aber ihre Folgen wirken bis heute fort. Es geht um den Skandal um hunderte an der Bluterkrankheit leidende Patienten, die seinerzeit über verunreinigte Blutskonserven mit dem HIV-Virus infiziert wurden. Viele von ihnen sind heute schon gestorben, aber einige hundert leben noch. Für sie wurde 1994 die Stiftung Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen gegründet. Ein Jahr nachdem ein Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags den Skandal endlich aufgearbeitet hatte.

Diese Stiftung, die seither den Opferns des Skandals eine mehr schlechte als rechte monatliche Entschädigung auszahlt, steht nicht zum ersten Mal vor dem finanziellen Aus. Aktuell reichen nach einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion die Linken die Mittel noch bis zum Frühjahr 2018. „Es ist unerträglich, dass Bundesregierung und Pharmakonzerne auch mehr als 30 Jahre nach dem Skandal nicht bereit sind, die Betroffenen nachhaltig zu entschädigen“, beklagt Kathrin Vogler, die Gesundheitsexpertin der Fraktion Die Linke. Sie beklagt, dass der Bund bislang lediglich bereit sei, für das laufende Jahr weitere zwei Millionen Euro zur Verfügung zu stellen und es eine Zusage in gleicher Höhe aus der Pharmaindustrie gebe.

Vor allem die Pharmaindustrie sieht Vogler in der Pflicht. „Die Verursacher des Blutskandals, die damals fahrlässig oder aus Profitgier mit HIV verseuchte Blutprodukte in Umlauf brachten“, sollen laut Vogler ihren Beitrag leisten, damit der Fortbestand der Stiftung dauerhaft gesichert wird. Nach einer Studie des Prognos Instituts, die das Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegeben hat, wären dazu 190 bis 250 Millionen Euro erforderlich.

Vor einseitigen Schuldzuweisungen gegen die Pharmaindustrie lohnt es allerdings, sich noch einmal das Ergebnis des Untersuchungsausschusses aus dem Jahr 1993 anzusehen. Der kam zu dem Ergebnis, dass „ein schuldhaftes Verhalten“ aller Beteiligten Grund war für die Erkrankung von über 2500 Menschen mit HIV durch Blut und Blutprodukte. Beteiligt waren aber nicht nur die Industrie, sondern auch deutsche Behörden wie das Bundesgesundheitsministerium, das Bundesgesundheitsamt und die Gesundheitsminister der Länder. Verantwortliche in den „Infektionsjahren“ 1982 bis 1987 waren im Bundesgesundheitsministerium Heiner Geißler und Rita Süssmuth (beide CDU). Die beschuldigten Hersteller-Firmen hießen: Immuno, Hyland, Behring/Hoechst, Armour, Bayer/Cutter, Intersero, Travenol, Alpha, Abbott und Biotest. Mit beteiligt waren das Deutsche Rote Kreuz und andere Blutspendendienste. Und schließlich waren als Verteiler der aidsverseuchten Medikamente Ärzte beteiligt, vor allem solche, die auf die Bluterkrankheit spezialisiert sind.

Die tödlichen Medikamente heißen Faktor VIII oder PPSB (Prothrombinkonzentrat) und sind aus menschlichem Blut hergestellte Konzentrate von Gerinnungsfaktoren. PPSB wurde auch an unzähligen Krankenhäusern Tausenden von Operationspatienten und bei Geburten gespritzt. Wie vielen, weiß niemand, weil niemand nachgeforscht hat. PPSB war mindestens bis 1985 aidsverseucht, weil es wie die Blutermedikamente Faktor VIII und Faktor IX aus großen Plasmapools hergestellt wurde.

Diese stammten überwiegend aus den Vereinigten Staaten. In die Pools gingen Zigtausende Plasmaspenden ein, ein einziger HlV-infizierter Spender konnte den gesamten Pool tödlich verseuchen. Die USA sind bis auf den heutigen Tag der wichtigste Blutlieferant für die Welt. Ein Herr von Sozial-Benachteiligten in den USA spendet darauf spezialisierten Unternehmen zum Teil mehrfach die Woche Blut. Es wird heute aber besser auf Viren und andere Keime kontrolliert.


Eine Veranstaltung der Steuerzahler

Diese Gefahren, so stellte  der Untersuchungsausschuss damals fest, waren für Hersteller, Behörden und Ärzte seit spätestens Anfang 1983 erkennbar und vermeidbar. Nahezu allen PPSB-Opfern hätte deshalb bei richtigem Verhalten der Verantwortlichen, die Infektion mit der damals noch tödlichen Krankheit erspart werden können. Das gilt auch für rund 800 Bluter. Denn 1983 gab es, so der Bericht, für deren Medikament Faktor VIII bereits eine Alternative: Ein gegen das Hepatitisvirus inaktiviertes Präparat, in dem auch die Aids-Viren abgetötet waren. Bereits das Risiko, an Hepatitis zu sterben, war nach dem Arzneimittelgesetz ein rechtlich zwingender Grund, auf das erste inaktivierte Präparat umzusteigen, sobald es auf dem Markt war. Das aber ist nicht geschehen.

Es ist daher folgerichtig, dass nicht allein die Pharmaindustrie die Kosten der Stiftung trägt. Bei Gründung wurde die Stiftung mit einem Startkapital von 127,8 Millionen Euro ausgestattet. Finanziers waren der Bund, die Länder, das Deutsche Rote Kreuz und die involvierten Arzneimittelhersteller. Schnell zeichnete sich ab, dass das Geld nur bis 2004 reichen würde. Es stellte sich nämlich heraus, dass viele Infizierte Dank der besseren Therapiemöglichkeiten länger lebten als erwartet. Also wurden die Stiftungsgelder 2004 bis 2007 aufgestockt: Der Bund gab weitere 26,8 Millionen Euro, die Länder 10,9 Millionen Euro, die Pharmaindustrie 25,6 Millionen Euro – was einer  Quote von 39 Prozent entspricht – und das Deutsche Rote Kreuz zusammen mit den anderen Blutspendendiensten 2,6 Millionen Euro.

2011 drohte das Geld erneut auszugehen. Von der erneuten Zustiftung in Höhe von 63,3 Millionen Euro übernahmen die Pharmahersteller nur noch 22 Prozent. Den Mammutanteil steuerten Bund und Länder mit zusammen rund 60 Prozent bei. Damit ist die Stiftung inzwischen überwiegend eine Veranstaltung der Steuerzahler geworden. Noch ist fraglich, wie die Finanzierung nach 2018 gesichert werden soll. Die Linke findet das schäbig. Sie dürfte damit nicht alleine stehen.

Ein eher trauriges Kapitel ist auch, dass die Leistungen seit Gründung der Stiftung nicht an die Inflation angepasst worden sind. Die Deutsche Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung von Blutungskrankheiten fordert daher eine Erhöhung der Sätze um 29 Prozent. 2016 erhielten 140 Infizierte, bei denen  die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist, 766,94 Euro im Monat. Für 384 bereits Erkrankte wurden steuerfrei 1533,88 Euro ausgezahlt. Kinder von  bereits Verstorbenen erhielten pro Person 511,29 Euro im Monat. Die Bundesregierung betont auf Anfrage der Linken, dass es sich dabei um Zahlungen handelt, die nicht auf andere Einkünfte wie eine Erwerbsunfähigkeitsrente angerechnet werden. Vor diesen Hintergrund hält die Bundesregierung eine finanzielle Stabilisierung der Stiftung für vorrangig, auch wenn das bedeutet, dass die Leistungen auch in Zukunft wegen Geldmangel nicht erhöht werden können.

Dabei werden die Betroffenen in immer größerem Umfang davon abhängig. Nach der Prognos-Studie sind derzeit nur noch 28 Prozent der unter 60-Jährigen uneingeschränkt erwerbsfähig. Die Hälfte der Leistungsempfänger im erwerbsfähigen Alter ist derzeit ohne Job, doppelt so viele wie bei Gründung der Stiftung. 28 Prozent der Betroffenen rechnen mit einer weiteren Verschlechterung ihrer Gesundheit in den kommenden drei Jahren. Zwei Drittel gehen davon aus, dass ihr Unterstützungsbedarf etwas oder deutlich zunehmen wird. Jeder Zweite glaubt, dass er die eigene  Erwerbstätigkeit in den nächsten drei Jahren vollständig oder teilweise aufgeben muss.

Nach dem HIV-Hilfegesetz muss die Stiftung an dem Tag geschlossen werden, an dem ihr das Geld ausgeht. Darauf will die Bundesregierung es nun aber offenbar doch nicht ankommen lassen. „Die Bundesregierung strebt an, die Finanzierung für die nächsten zehn Jahre anteilig über Bund, Länder, Unternehmen der Pharmaindustrie und DRK sicher zu stellen“, versichert Gesundheitsstaatssekretärin Ingrid Fischbach (CDU).

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