Immer mehr Schulabgänger starten orientierungslos ins Berufsleben. Fast eine Viertelmillion Menschen unter 25 Jahren waren im Juli 2023 arbeitslos gemeldet – acht Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Wer hat Schuld? Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, meint: auch die Schulen.
„Auffallend ist, dass in Gymnasien die Berufsvorbereitung oft nur eine geringe Rolle spielt“, sagte die ehemalige SPD-Parteivorsitzende Mitte August der „Rheinischen Post“. Sie kritisiert: „Nur ein obligatorisches Praktikum ist zu wenig.“ Schüler und Eltern sind also selbst gefragt, bei der Entscheidung über Studiengang oder Ausbildungsplatz aktiv zu werden. Mindestens ein Termin beim Karriereberater sollte auf jeden Fall dazugehören.
Rechtzeitig um Berufsberatung kümmern
Möchte ich mein Hobby zum Beruf machen? Wie wichtig ist es mir, dass mein Job sinnhaft, zukunftssicher und/oder gut bezahlt ist? Bei all diesen Fragen stehen professionelle Karriereberater Schülern zur Seite. Das Angebot ist riesig. Es reicht von kostenlosen Informationsveranstaltungen bei Arbeitsämtern oder Universitäten bis zur individuellen Begleitung durch einen privaten Karrierecoach für einige Tausend Euro. In jedem Fall aber gilt: Bitte nicht erst kurz vor dem Ende der Schulzeit einen Termin vereinbaren.
Anne Kursten von der Zentralen Studienberatung der RWTH Aachen rät: Idealerweise fangen Schüler zwei bis drei Jahre vor dem Abschluss an, sich bei der beruflichen Orientierung ernsthaft mit ihren Interessen, Werten und Zielen auseinanderzusetzen. Helmut Suchrow von der Hochschulberatung der Arbeitsagentur Hamburg empfiehlt Schulen, das Thema sogar bereits ab der 6. Klasse allmählich anzusprechen. Anfangs könne allgemein auf Berufsfelder oder einzelne Berufe eingegangen werden, erläutert der langjährige Berufsberater. Zwischen der 8. und der 9. Klasse seien die Schüler dann reif genug, um das Thema zu vertiefen. „Diese Jugendlichen sind am Anfang ihres Weges zum Erwachsenen und können ihre Vorlieben für eine berufliche Idee schon gut begründen“, meint der Karrierecoach.
Idealerweise gehen Schüler auch deshalb mit dem nötigen Ernst an die Sache, weil sie wissen, wie wichtig Arbeit ist. Suchrow empfiehlt Eltern, den Nachwuchs spätestens ab der Einschulung an ihrem Berufsleben teilhaben lassen und den Job zum integralen Bestandteil des Alltags zu machen. „Kinder orientieren sich in erster Linie an den Eltern und erfahren durch sie, wie sich Arbeit und Beruf auf das Leben in der Familie auswirken“, erläutert der Karrierecoach.
Eltern oder auch Paten sollten bei der Suche nach der richtigen Karriere fördern und Gespräche anstoßen, aber vor allem mal machen lassen. „So kann sich ein gutes Selbstbewusstsein und eine gute Selbsteinschätzung entwickeln“, hat der Experte festgestellt. Auch Claudia Sorg-Barth aus dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Karriereberatung plädiert dafür, dass Jugendliche selbst über ihre Berufswahl entscheiden. „Denn nur dann werden sie die Ausdauer haben, bei Frustrationen durchzuhalten.“
Arbeitsagentur: Angebote für Schüler
Am einfachsten ist neben der Berufsberatung an den Schulen der Blick auf die Online-Angebote der Arbeitsagentur. Das Programm „Check-U“ soll Jugendlichen helfen, ihren Berufswunsch einzugrenzen. Weitere Angebote gibt es für Mittelstufe („Planet-Beruf“) und Oberstufe (www.abi.de). Einen kompakten Überblick bietet zudem die digital verfügbare Broschüre „Angebote der Berufsberatung“.
Die großen Karriere-Irrtümer
Viele ambitionierte Menschen verlassen sich auf logisch erscheinende Theorien, die nur auf Erfahrungen Einzelner basieren. Natürlich gibt es auch nützliches Erfahrungswissen, aber ohne psychologische Reflexion und systematische Aufbereitung bleibt es Einzelwissen.
Beim Mentoren-Prinzip fördern erfolgreiche Top-Manager ihre jüngeren, unerfahrenen Kollegen. Der Mentor will dem Mentee nach bestem Wissen und Gewissen sagen, „wo es lang geht“. Ist der Mentor gut, schrumpft das Wissensgefälle nach kurzer Zeit – und damit auch die Wichtigkeit des Mentors. Dieser wird dann oft wütend und eifersüchtig und ist versucht, die Karriere seines Schützlings zu hemmen.
Es ist eine verbreitete, aber falsche Annahme, dass Chefs offene und konstruktive Kritik benötigen, um besser zu werden. Denn diese wirkt sich oft desaströs auf die Karriere des Kritisierenden aus. Zumindest unbewusst will sich kein Chef Kritik anhören, schon gar nicht in seiner Position.
Es ist die Haltung des Gebens, die zum Erfolg und damit zur Karriere führt. Auch als unerfahrener Mitarbeiter kann man seinem Mentor etwas „geben“. Anstatt eine Beziehung zu seinem Mentor anzustreben, in der man nur selbst profitieren will, macht man seinem Vorbild Komplimente, zeigt seine Bewunderung und bittet um Rat und Hilfe.
Man muss nicht unbedingt mehr im Unternehmen arbeiten, wenn man höherwertige Positionen im Unternehmen erreicht. Top-Manager müssen vor allem die Verbindung zwischen der eigenen beruflichen und privaten Person intensivieren und als Persönlichkeit auf das Unternehmen wirken und dieses repräsentieren.
Karrieren hängen nicht von einzelnen Situationen ab, sondern entwickeln sich über einen langen Zeitraum. Bei Entscheidungen unter Zeitdruck ist es unerlässlich, innezuhalten. Je länger sie pausieren, ohne nachzudenken, umso unwahrscheinlicher ist eine Fehlentscheidung.
Talent ist zu vernachlässigen, wenn alle anderen Dimensionen für eine Karriere – wie das Streben nach höchstem Können und eine stabile Psyche – stimmen.
Die individuelle Karriere folgt keiner Normalverteilung. Für sie gibt es keine berechenbare Wahrscheinlichkeit. Die realen Einflussgrößen sind Widerstände und Krisen, die zu bestehen sind und an denen man wachsen kann.
Wer das System Karriere nicht durchschaut, hält die Erfolge seiner Karriere für Zufall. Es ist jedoch nicht Glück, sondern der autonomer Wille der Ambition – also harte Arbeit unter der Regie seiner Ziele.
Der nächste Schritt führt den Schüler dann vielleicht in das nächstgelegene Berufsinformationszentrum (BiZ) der Arbeitsagentur. „Hier findet man ausführliche Informationen zu Ausbildung und Studium, Berufsbildern und ihren Anforderungen, Fortbildungen mit und ohne anerkannten Berufsabschluss, Beschäftigungsalternativen und Informationen zum Arbeitsmarkt. Dafür stehen Computer mit Internetzugang zur Verfügung“, erläutert Suchrow. Im BiZ lassen sich laut dem Berufsberater auch professionelle Bewerbungsunterlagen erstellen. Hinzu kämen Vorträge, Seminare und persönliche Sprechstunden. Aufschluss gibt der Veranstaltungskalender der Arbeitsagentur.
Doch was ist, wenn eine Schülerin nach all dem immer noch keine Vorstellung davon hat, was sie mal werden möchte? Hier ist es höchste Zeit für die persönliche Berufsberatung. Am Ende lässt sich für jeden Topf der passende Deckel findet, beruhigt Suchrow. „Jeder Mensch hat ein bestimmtes Wissen, eigene Erfahrungswerte, bestimmte Interessen und Neigungen, die ihn von anderen Menschen unterscheiden“, unterstreicht er. „Mit etwas Erfahrung und geschickten Fragen lassen sich immer passende berufliche Ideen entwickeln.“
Professionelle Berater sind auch auf scheinbar völlig konträre Interessen eingestellt. Tischlerin oder Astrophysikerin? „Spontan gesagt: Das eine schließt das andere nicht aus“, findet Suchrow. Beide Bereiche würden schließlich räumliches Denken, technisches Verständnis sowie die Fähigkeit zum Planen und Organisieren voraussetzen. Seine spontane Idee: Eine auf zwei Jahre verkürzte Tischlerausbildung mit anschließendem Studium, bei dem dann auf die handwerklichen Erfahrungen zurückgegriffen werden kann. „Dieser Fall ist bei uns ganz normaler Arbeitsalltag“, beruhigt auch RWTH-Beraterin Kursten unentschlossene Schüler.