„Wir müssen Grenzen übertreten“, meint Achim Pohl, einer von zwei Gründern der Darmstädter Designagentur Artefakt. Er sagt das nicht einfach so, er warnt, erklärt und appelliert mit einem Nachdruck, der keinen Zweifel lassen soll: Design ist Wettstreit, schon zu Beginn einer Idee. Ein Aushandeln scheinbar widerstrebender Interessen. Zwischen dem Wunsch nach einer schönen Form und der Notwendigkeit technischer Vorgaben. Den Pohl gewinnt, indem er beides beherrscht.
Pohl nimmt einen Wasserhahn, der als Muster auf einem Brett montiert ist. Auf den ersten Blick eine Einhandmischbatterie, wie sie millionenfach auf Waschbecken in aller Welt Wasser spendet. Er lupft den Hebel – aber der Kopf der Armatur neigt sich nicht zurück, wie erwartet, sondern steigt majestätisch sanft empor wie ein Periskop aus einem U-Boot. Die Technik ist verbaut in der Armaturserie Joy des Herstellers Jado. Ausgedacht haben sich das jedoch nicht die Ingenieure von Jado, das heute zum Konzern Ideal Standard gehört. Das Patent darauf hat Artefakt. Die elegante Erscheinung, das gefällige Äußere – das sind heute beinah Nebenprodukte von Designerideen im Dienst der Funktionalität.
Diese Ideen voranzutreiben, kreuz und quer zu denken, in alle möglichen Richtungen – das ist das Angebot von Designagenturen. Oft stehen sie im Schatten der Unternehmen, deren Produkte sie gestalten, oder im Schatten der großen Stardesigner, deren Nimbus allein oft genügt, um ein Produkt erfolgreich am Markt zu platzieren. Zu Unrecht, denn die stillen Stars der Branche sind das Rückgrat des Industriedesigns.
102 der mehr als 1000 in diesem Jahr mit dem Design Award Red Dot ausgezeichneten Produkte wurden mit dem Zusatz „Best of the Best“ prämiert – und mindestens ein Drittel dieser Topprodukte wurde von externen Dienstleistern der guten Form entworfen. Mindestens. Tatsächlich werden es noch einige mehr sein, denn viele Unternehmen unterhalten zwar hauseigene Designabteilungen, holen sich darüber hinaus aber noch Input bei Agenturen wie Artefakt.
Drängler, Mahner, Wegweiser
Seit 1989 arbeiten Pohl und sein Partner Tomas Fiegl unterm Dach ihrer Agentur zusammen, kennengelernt haben sie sich während des Studiums. Heute ist ihr Büro in einer ehemaligen Fabrik untergebracht, in einem Umfeld, das alle Designerklischees zu bestätigen scheint. Auf dem Hof parken ein Citroën SM von 1972, ein BMW M1, ein Tesla und diverse Singlespeed-Fahrräder. Eine offene Bürolandschaft mit hohen, gewölbeartigen Decken beherbergt ein zwölfköpfiges Team. Mehr als 150 Auszeichnungen bei diversen internationalen Designwettbewerben hat Artefakt bisher errungen. Auch beim diesjährigen Red Dot Design Award überzeugten aus Tausenden von Einreichungen mehrere von Artefakt verantwortete Produkte die 39-köpfige Jury.
Mit Gegenständen für Bad und Sanitär begann alles, dann, im Jahr 2006, entschlossen sich die Gründer – angeregt durch Fiegls Faible für Fahrräder –, ein zweites Standbein mit Cycling-Design aufzubauen. Das erste Preisgeld, immerhin 10 000 Mark, steckte das Duo in zwei Maschinen für den Modellbau. Noch heute ist die Werkstatt, in der dreidimensionale Modelle der späteren Produkte entstehen, ein wesentlicher Bestandteil des Unternehmens. Mit den Preisen kamen mehr Kunden; die Beziehungen waren von Anfang an konfliktreich. „Ein Konstrukteur“, so Fiegl, „hat uns damals als Störenfriede empfunden.“
Andreas Diefenbach, Design Business Manager bei der Stuttgarter Agentur Phoenix Design, sieht eben darin seine Rolle: ein produktiver Störfaktor sein, ein Drängler, Mahner, Wegweiser. Design müsse im Unternehmen vom Vorstand als Faktor anerkannt sein. „Wenn uns ein Unternehmen kontaktiert und mit uns zusammenarbeitet, sage ich immer: ‚Geben Sie mir den, der entscheidet.‘“ Phoenix Design gehört zu den erfolgreichsten Agenturen in Deutschland. Designer, Ergonomen und Soziologen passieren täglich im Unternehmensflur die gerahmten Urkunden: 800 Awards seit 1987. Eine Erfolgsfabrik.
Vertrautheit und Distanz
Wer Phoenix Design beauftragt, bekommt keine hübsche Hülle, sondern wird im besten Fall mit Erkenntnissen, Einsichten und Eingebungen belohnt. Wofür steht die Marke, was zeichnet ihre Kunden aus? Fragen, für deren Beantwortung die Agentur ihre Mitarbeiter in alle Welt sendet. Projektreisen in andere Kontinente für mehrere Wochen oder Monate sind keine Seltenheit, wenn es darum geht, herauszufinden, was der Kunde wirklich braucht. Ein guter Dienstleister zu sein heißt für Diefenbach nicht, ein Diener zu sein: „Wir sind Partner auf Augenhöhe.“