Weinkritiker Hugh Johnson "Ich kann es nicht erwarten, meinen Korkenzieher wegzuschmeißen"

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"Ich preise Riesling seit 50 Jahren"

Dann sind all Ihre Bemühungen der vergangenen 40 Jahre vergebens?

Alles eine Zeitverschwendung? Nein, nicht alles. Aber ich preise Riesling seit 50 Jahren. Es hat vielleicht nicht geholfen.

Wirklich nicht?

Es hätte mehr sein können. Aber der Sinneswandel ist zu erkennen. Vielleicht nicht in Pariser Restaurants, aber in New York rückt man deutschem Riesling immer näher. London ist hoffnungslos hinterher und nur die besten Sommeliers erkennen, dass sie auf ihren Weinkarten trockene Weißweine aus Deutschland aufnehmen müssen. Wenn mal etwas außer Mode gekommen ist in der Weinwelt, dann kommt es nicht mehr wieder. Anders als in der Mode. Nehmen sie Sherry! Sherry ist DAS Schnäppchen in der Weinwelt. Ich sehe ihn auf Augenhöhe mit den besten Weißweinen aus dem Burgund. Großartiger Charakter, passt hervorragend zum Essen – und kostet praktisch ein Zehntel davon. Es ist lächerlich!

Ein Meinungswandel kann doch schnell gehen. Ihr amerikanischer Kollege Robert M. Parker hat binnen weniger Jahre einen Teil des Rotweinmarktes entscheidend geprägt. Sein 100-Punktesystem für die Bewertung nutzen inzwischen Discounter zur Vermarktung der einfachsten Weine. Sie schreiben, dass der meiste Schaden, den das angerichtet hat, vorüber sei. Was meinen Sie damit?

Als ich das geschrieben habe, meinte ich, dass sein Einfluss nachgelassen hat. Die kultiviertesten Weinregionen der Welt schenken dem weniger Beachtung. Sie nutzen natürlich weiter Bewertungen. Aber sie produzieren ihre Weine nicht länger danach, dass der Wein dort eine hohe Punktzahl erreicht. Es sind vor allem Investoren, die sich für Parker-Punkte interessieren. Wenn ein Wein von einem Chateau 93 statt 95 Punkte bekommt, dann können sie weniger erwirtschaften. Die Punkte landen in Statistiken und Investoren lieben Statistiken.

Verbraucher aber auch!

Ja, aber Investoren besonders und widerspricht komplett meiner Idee von Weinkritik seit ich damit begann. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, Wein zu kaufen, um ihn wiederzuverkaufen. Es gibt einen Futures-Markt. Und ich finde es sehr traurig, dass Menschen Wein als Investment sehen. Das ist tragisch. Aber wenn sie das Geschäft betreiben, dann sind die Punkte für sie sehr wertvoll.

Sie verteilen in ihren Führern aber auch Sterne.

Ja, aber sie sind sehr allgemein für die langjährige Qualität und den Ruf des gesamten Weinguts. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass für den Genuss von Wein für die meisten Menschen wichtig ist, dass sie einen Bezug dazu aufbauen können. Das kann die Herkunft sein, eine Region, die man besucht hat aber auch ein Jahrgang, an dem jemand Geburtstag hat. Es geht darum, dass man sich damit identifizieren kann. Das ist wertvoller als die spezielle Rebsorte. Dieser menschliche Aspekt wird deutlich unterschätzt.

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