Vor wenigen Tagen hat die türkische Regierung verkündet, die Türkei wolle im Jahr 2023 ein vollwertiges Mitglied der Europäischen Union sein. Diese Aussage klingt verwegen, zumal in den bisherigen Beitrittsverhandlungen kaum Fortschritte erzielt wurden und die Türkei spätestens seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 nicht den Eindruck einer gefestigten Demokratie vermittelt.
Im Jahre 2005 begannen die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei, wobei der Begriff Verhandlungen eher irreführend ist: Um der EU beitreten zu dürfen, muss die Türkei den Europäischen Besitzstand (Acquis Communautaire) übernehmen. In insgesamt 35 Kapiteln wird geprüft, ob und in wieweit dies geschehen ist. Nur wenn die Europäische Kommission dies bestätigt, kann der Beitritt vollzogen werden.
Im Augenblick sind die Verhandlungen nur für das Kapitel zu „Wissenschaft und Forschung“ abgeschlossen, zu allen anderen Kapiteln ist kein Fortschritt oder gar Abschluss in Sicht. Und selbst dieses Kapitel scheint gefährdet, denn ob der Stand der Verhandlungen nach der Neuadjustierung der Forschungspolitik der Türkei weiterhin gültig ist, müssen wohl Juristen entscheiden.
EU-Beitritt schein unmöglich
Der Stand der Verhandlungen lässt selbst bei günstigem Verlauf unter regulären Bedingungen einen Beitritt innerhalb von sieben Jahren höchst unwahrscheinlich erscheinen. Unter den gegenwärtigen Umständen erscheint er schlicht unmöglich zu sein. Zur Erinnerung einige der Gegenargumente:
-Die bereits erwähnte Gängelung, wenn nicht Unterdrückung der Wissenschaft bzw. der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entspricht eben nicht den europäischen Werten. Sie führt zu einer Gleichschaltung der Sozialwissenschaften und dürfte darüber hinaus eine generelle Innovationsschwäche bewirken. In europäischen Forschungsprogrammen kann man sich eine von der Regierung gelenkte türkische Beteiligung nicht vorstellen.
-Unabhängige Richter und Staatsanwälte, zumal wenn sie schon einmal gegen die Mitglieder der türkischen Regierung geurteilt oder nur ermittelt haben, werden gegenwärtig in der Türkei verhaftet. In der Europäischen Union aber gelten die Gesetze auch für Mitglieder der Regierung; bei Verdacht darf gegen sie ermittelt werden, bei Beweisen wird verurteilt. Darüber hinaus herrscht hier die Gewaltenteilung zwischen Regierung, Parlament und Justiz; in der Türkei kann man sich dessen nicht sicher sein.
-Unternehmen, deren Eigentümer im Verdacht stehen, der Gülen-Bewegung nahezustehen, wurden enteignet – dem Vernehmen nach geht es um über 100.000 Unternehmen. Auch in Deutschland werden diese Unternehmer bedroht. In der EU gelten private Eigentumsrechte. Enteignungen sind möglich, aber nur begründet und gegen Entschädigung.
-Die europäische Presse ist frei und berichtet regelmäßig über regierungsamtliches Versagen. Zwar gefällt so etwas keiner Regierung, aber die europäischen Regierungen haben gelernt, damit zu leben, und kämen nicht auf die Idee, Journalisten wegen regierungskritischer Berichte einzusperren.
-Da wäre dann noch das Verhältnis des Staates zur Religion. Die christliche Tradition ist tief verwurzelt in der EU; dennoch sind die Mitglieder laizistisch. In der Türkei arbeitet die Regierung allem Anschein gerade darauf hin, die Trennung von Staat und Religion aufzuheben und eine bestimmte Interpretation der „richtigen“ Religion als alleingültig zu forcieren. Wie die anderen Religionen dann behandelt werden, bleibt abzuwarten.