Ehrlichkeit
Hillary Clinton entschuldigt sich für ihr Verhalten in der E-Mail-Affäre. „Ich habe einen Fehler gemacht und würde es nicht wieder machen.“ Sie beweist Rückgrat. Anders als Donald Trump, der etwa seine Steuerbescheide zurückhält. Auch auf Kritik, dass Trump mit ehemaligen Mitarbeitern nicht gut umgegangen ist, zeigt er sich uneinsichtig. Der Republikaner wirft Clinton Unehrlichkeit vor. Doch der Eindruck bleibt: Der Einzige, der etwas zu verbergen hat und nicht einsichtig ist, heißt Donald Trump. Punkt für Clinton.
Zwischenstand: 4:3 für Trump
Überraschungsmomente
Trump ist US-weit in der Kritik, dass er – entgegen der Tradition im US-Wahlkampf – seine Steuerbescheide nicht veröffentlicht. Clinton liefert die Erklärungen gleich mit. „Vielleicht ist er nicht so reich, wie er behauptet. Vielleicht ist er nicht so karitativ, wie er behauptet.“ Trump dreht den Spieß um. „Ich werde gegen den Willen meiner Anwälte die Steuerbescheide veröffentlichen – wenn Hillary Clinton die 35.000 E-Mails freigibt, die sie von ihrem privaten Server gesendet hat“.
Donald Trump wird von den Waffenlobbyisten der NRA unterstützt. Dennoch stimmt Trump während der TV-Debatte zu, dass Bürger, die als gefährlich eingestuft und etwa nicht in Flugzeuge steigen dürfen, keine Waffen bekommen sollen. Trump überrascht positiv und lenkt geschickt von eigenen Schwächen ab. Punkt für Trump.
Zwischenstand: 5:3 für Trump
Kampfgeist
Donald Trump attackiert Clinton, unterbricht sie regelmäßig. So fragt er etwa nach, warum Clinton das Freihandelsabkommen TPP einst „zum Goldstandard“ für Handelsfragen erklärt hatte. Clinton fällt es schwer, zu kontern. Sie wirft Trump Unehrlichkeit vor. „Ich weiß, dass du in deiner eigenen Welt lebst“. Clinton nennt ihren Konkurrenten an einer Stelle „crazy“. Als Trump über die Schwächen der USA spricht, etwa den schlechten Zustand der US-Flughäfen, greift Clinton an. „Das liegt vielleicht daran, dass du nie viel Steuern gezahlt hast.“ Ihre beste Attacke. Doch es ist Trump, der lange die wahren Nadelstiche setzt.
Clintons wirtschaftspolitische Pläne
Clinton will in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit das umfassendste Investitionsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg in Infrastruktur, Industrie, Forschung und Entwicklung, Klimaschutz und Mittelstandförderung anstoßen. Sie will über fünf Jahre aus staatlichen und privaten Quellen 275 Milliarden Dollar mobilisieren, um die Verkehrs- und Netz-Infrastruktur zu verbessern. Damit und mit anderen Mitteln will sie über zehn Millionen neue Jobs schaffen. Die Industrie soll stärker werden. Gelingen soll das mit einer Partnerschaft von Wirtschaft, Arbeitnehmern, der Regierung und Verwaltungen sowie der Wissenschaft. Firmen sollen sich verpflichten, Jobs und Investitionen statt in Übersee in den USA zu halten. Dafür sollen sie finanzielle Vorteile genießen. Besonders gefördert werden sollen strukturschwache Regionen. Die Position der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften will Clinton stärken. Der Mindestlohn soll von 7,25 Dollar je Stunde auf zwölf, zuletzt war gar von 15 Dollar die Rede, erhöht werden.
Clinton verspricht ein gerechteres und einfacheres Steuersystem. Multi-Millionäre und Milliardäre sollen einen Steueraufschlag zahlen, Arbeitnehmerhaushalte und Familien entlastet werden. Steuerschlupflöcher für Firmen und Privatpersonen will Clinton schließen. Unternehmen, die ihre Gewinne in Steueroasen transferieren, sollen eine Extra-Steuer zahlen. Investitionen von Unternehmen in den USA selbst will sie begünstigen und dabei kleine Firmen besonders entlasten. Gleiches gilt für Familien, die Sonderlasten tragen, weil sie beispielsweise ältere und erkrankte Familienangehörige pflegen.
Die US-Finanzindustrie will Clinton enger an die Leine legen. Wall-Street-Riesen sollen einen Extra-Zuschlag zahlen, der sich nach ihrer Größe und ihrem Risikogewicht für die Branche richtet. Bestehende Möglichkeiten für Großbanken, Kundengelder in Hochrisikofeldern zu investieren, will sie beschneiden. Top-Banker sollen bei Verlusten ihrer Institute mit Bonus-Einbußen rechnen. Der Hochfrequenzhandel soll besteuert werden. Riesige und undurchschaubare Finanzriesen sollen stärker kontrolliert und im Zweifel aufgespalten werden. Clinton will Finanzmanager auch stärker in Mithaftung nehmen, wenn in ihren Instituten gegen geltendes Recht verstoßen wird.
Clinton verspricht, schärfer gegen Länder wie China vorzugehen, wenn diese internationale Freihandelsregeln verletzen und damit amerikanischen Arbeitsplätzen schaden. Sie will Nein sagen zu Handelsabkommen, wie der Trans-Pazifischen Partnerschaft (TPP), die nicht den US-Standards genügen, etwa mit Blick auf die Bezahlung von Arbeitnehmern. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will sie neu verhandeln. Zum US-EU-Freihandelsabkommen TTIP, das derzeit verhandelt wird, äußerte sie sich in jüngster Zeit zwar nicht direkt, doch war sie schon früher auch dazu auf Distanz gegangen und will in Freihandelsabkommen generell die amerikanischen Interessen besser zum Tragen kommen lassen. „Amerika fürchtet den Wettbewerb nicht“, gibt sie sich insgesamt kämpferisch.
In Umwelt- und Energiepolitik will Clinton Zeichen setzen. Sie will Amerika zur weltweiten „Supermacht“ des 21. Jahrhunderts in Sachen saubere Energie machen.
Clinton will Schluss damit machen damit, dass sich US-Bürger wegen einer College- oder Universitätsausbildung hoch verschulden. Sie will für eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie und gleiche Bezahlung von Männern und Frauen sorgen. Bei Krankheit und im Alter soll es mehr soziale Sicherheit geben.
Auch vor einer Auseinandersetzung mit dem Moderator schreckt Trump nicht zurück. Er spricht so lange, bis er seinen Punkt gemacht hat. Widerspricht – etwa beim Vorwurf, er sei einst für den Irakkrieg gewesen. Clinton schlägt sich tapfer, aber Trump ist aktiver, aggressiver, kampfeslustiger.
Punkt für Trump, Zwischenstand: 6:3 für Trump
Fehler
Donald Trump verteidigt seine Kampagne gegen US-Präsident Barack Obama, der angeblich nicht in den USA geboren sei. Es bleibt unklar, ob Trump an den Vorwürfen festhält. Er sei „zufrieden“, dass Obama seine Geburtsurkunde vorgezeigt habe. „Ich finde, ich habe einen guten Job gemacht“ sagt Trump. Nein, hat er nicht. Eine unsinnige Debatte, von der Trump endlich Abstand nehmen sollte. Es bleibt nicht der einzige Patzer von Trump. Clinton wirft dem Immobilienmogul vor, die Immobilienkrise angefeuert zu haben. Trump unterbrich und ruft. „Das nennt man Geschäfte machen.“
Clinton kommt ohne signifikante Patzer durch den Abend. Klarer Punktsieg für sie in dieser Kategorie. Minuspunkt für Trump.
Zwischenstand: 5:3 für Trump
Nachhaltiges
„Ich bin ein Sieger.“ Donald Trump präsentiert sich während der gesamten Debatte als Gewinnertyp. Er sei ein erfolgreicher Geschäftsmann, er werde auch ein guter Präsident werden. Ein Anti-Politiker-Politiker, der Probleme beim Namen nennt. „Clinton hat Erfahrung. Aber das ist schlechte Erfahrung.“ Donald Trump dominiert die erste Halbzeit der Debatte.
In der zweiten Hälfte gewinnt Clinton an Selbstvertrauen und Format. Sie präsentiert sich als seriöse Kandidatin, als bestens vorbereitet für den Job. Im Endeffekt wenig überraschend: Beide betonen ihre Stärke – ohne ihre Wähler neue Argumente für sich an die Hand zu geben.
Zwischenstand: 6:4 für Trump
Präsidiales Auftreten
Hillary Clinton ist bestens für das Präsidentenamt gerüstet. Sie hat das Fachwissen, um die USA zu führen und den Charakter, signifikante Entscheidungen zu treffen. „Ich habe mich auf diese Debatte vorbereitet – und ich bin vorbereitet für das Präsidentenamt.“ Dem wird kaum jemand widersprechen.
Donald Trump attackiert während der TV-Debatte. Er versucht erst gar nicht, präsidial zu wirken. Er sei ein Führer, ja. Aber kein Politiker. Politiker hätten die USA schließlich in die Krise geführt. Keine Frage: Clinton gewinnt diesen Vergleich deutlich.
Zwischenstand: 6:5
Humor
Die Lacher sind auf Donald Trumps Seite. So wirft er Clinton etwa vor, in ihrer Zeit in Regierungsverantwortung wenig für die Bürger getan zu haben. Sie habe auch heute „keinen Plan, wie sie Jobs schaffen will“. Clinton widerspricht. Sie habe viel über diese Problematik nachgedacht. Trump aus der Hüfte heraus: „Ja, 30 Jahre lang.“
Clinton hat später genug von Trumps angriffen. „Ich glaube, ich werde am Ende des Tages für alles Mögliche verantwortlich gemacht“. Trump lapidar: „Warum nicht?“
Zwischenstand: 7:5
Fazit
Donald Trump hat die ersten 30+ Minuten dominiert. Er wirkte kampfeslustig, aggressiv, nah am Wähler. Sein Ziel, sich präsidial zu geben, geht nicht auf. Trump ist Trump: er gefällt sich in der Rolle des Angreifers. Dass er charakterlich geeignet ist, der mächtigste Mann der Welt zu werden, bleibt zweifelhaft.
Hillary Clinton verpatzte die Anfangsphase. Demokraten mussten Schlimmes befürchten. Doch dann drehte sich die Debatte. Trump machte Fehler, die Ex-Außenministerin konnte ihre Stärken – Zuverlässigkeit, Deutungshoheit – ausspielen. Insgesamt waren beide gut, Trump hat durch eine starke Anfangsphase leichte Vorteile.