Warnbrief an Genossen in Thüringen SPD-Aufstand gefährdet Rot-Rot-Grün

Bei der SPD in Thüringen wächst der Widerstand gegen ein Bündnis mit der Linken. Ein Genosse warnt gar in einem offenen Brief vor dem Ende seiner Partei. Ungemach droht dem Linksbündnis-Plan auch aus einem anderen Grund.

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Vorsicht, zerbrechlich! Die Koalition zwischen Grünen, SPD und Linke ist fragil. Quelle: Getty Images

Berlin Die SPD in Thüringen lässt sich mit ihrer Entscheidung, eine rot-rote-grüne Koalition mit einem linken Ministerpräsidenten zu wagen, auf ein sehr riskantes Spiel ein. Denn ein Bündnis mit einer Mehrheit von nur einer Stimme kann sich schnell zu einem Himmelfahrtskommando entwickeln.

So mancher Sozialdemokrat dürfte sich an Konstellationen aus der Vergangenheit zurückerinnern. Etwa an die SPD-Politikerin Heide Simonis, die in Kiel 2005 bei der Wahl zur Ministerpräsidentin viermal schmählich an parteiinternen Abweichlern scheiterte. Oder das Beispiel von Andrea Ypsilanti aus Hessen. Die Sozialdemokratin konnte ebenfalls keine Regierung bilden, weil einige SPD-Abgeordnete gegen sie und ihr Vorhaben stimmten, mit der Linken zu regieren.

Dass sich in Thüringen ein solches Szenario wiederholt, ist nicht ausgeschlossen, zumal innerhalb der SPD der Unmut darüber immer deutlicher zu vernehmen ist, den Linken-Politiker Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten zu wählen. Noch ist nichts in trockenen Tüchern, auch wenn der SPD-Landesvorstand am Montagabend einstimmig für Koalitionsverhandlungen mit Linken und Grünen gestimmt hatte. Entscheidend ist, wie sich die 4 300 Mitglieder der SPD zu den erzielten Vereinbarungen verhalten. Bis Anfang November habe sie Zeit, darüber abzustimmen.

Sozialministerin Heike Taubert (SPD) rechnet fest damit, dass „wir ungefähr 70 Prozent der Mitglieder überzeugen können“. Andere hoffen, dass verhindern zu können und greifen, wie der Vorsitzende der SPD im thüringischen Ilmenau, Stefan Sandmann, zu ungewöhnlichen Maßnahmen. Sandmann hat einen Warnbrief an seine Parteifreunde verfasst, den er auf eigene Faust verbreitet, weil die Landesgeschäftsstelle der SPD eine Verteilung abgelehnt hat.

In dem Schreiben bittet Sandmann die SPD-Mitglieder „eindringlich“ darum, beim Mitgliederentscheid mit „Nein“ zu stimmen und die Ehre der SPD in Thüringen zu retten. „Denn wenn es zu einem solchen Bündnis kommen sollte, kann sich die SPD auf keinem Gebiet profilieren, da sich die Ziele und die Standpunkte deckungsgleich überschneiden. Dann braucht die SPD in Thüringen keiner mehr“, warnt der Sozialdemokrat.

Wer unzufrieden sei, wähle CDU und wer zufrieden sei, wähle die Linke. „Damit ist das Ende der SPD amtlich und es ist nur eine Frage der Zeit, wann die nächste Wahl kommt und unsere SPD, hier in Thüringen, auf historischem Boden in die Bedeutungslosigkeit versinkt.“ Sandmann ist nicht der einzige, der sich gegen ein Linksbündnis stellt.


Nur ein Abweichler könnte Ministerpräsidenten-Wahl platzen lassen

Auch Stephan Hilsberg, der Mitgründer und erste Sprecher der Ost-SPD, warnt davor. „Die SPD Thüringen lässt sich auf ein Vabanquespiel ein“, sagte der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Zeitung „Die Welt“. „Bei einer Ein-Stimmen-Mehrheit kann kein Mensch mit einer stabilen Regierung rechnen.“

Das glaubt der mögliche künftige Regierungschef Ramelow zwar nicht. Den hauchdünnen Stimmenvorsprung sieht der frühere westdeutsche Gewerkschaftssekretär, der 1991 nach Thüringen kam, aber schon. Auch als Hürde, allerdings nicht als unüberwindbare. Deshalb baut er möglichen Schwierigkeiten schon einmal vor. Er stelle sich angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Landtag auf eine schwierige Ministerpräsidentenwahl ein, sagte er kürzlich im ZDF. „Ich richte mich darauf ein, bis zum dritten Wahlgang zu gehen, weil eine Stimme Mehrheit wird am Anfang entscheidend sein.“

So steht es auch in der Verfassung des Freistaats. Dort heißt es in Artikel 70, dass ein Kandidat, wenn schon nicht im ersten, dann doch im zweiten Wahlgang mit der Mehrheit der Mitglieder des Landtags gewählt wird. Der Kandidat braucht im neuen Landtag mit seinen 91 Abgeordneten also im ersten oder spätestens im zweiten Wahlgang mindestens 46 „Ja“-Stimmen. Rot-Rot-Grün hat 46 Stimmen. Eine Enthaltung oder ein „Nein“ aus den eigenen Reihen reicht daher aus, um Ramelow durchfallen zu lassen.

Im dritten Wahlgang ist dann laut der Verfassung gewählt, wer die meisten Stimmen erhält. Das heißt: Die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen ist ausreichend. Der Kandidat Ramelow braucht also mehr „Ja“- als „Nein“-Stimmen. Sollte in diesem Fall ein Abweichler aus den rot-rot-grünen Reihen ebenso mit „Nein“ stimmen wie alle 45 Abgeordneten von CDU (34 Sitze) und AfD (11 Sitze) und alle übrigen 45 Abgeordneten von Linkspartei, SPD und Grünen mit „Ja“, dann wäre Ramelow gescheitert.

Und die Kritiker einer Linksregierung könnten feiern, denn sie sehen für die SPD in einer solchen Bündniskonstellation mehr Nach- als Vorteile. Eine Koalition mit der Linken sei aufgrund von deren Vergangenheit immer ein „extrem heißes Eisen“, sagte Hilsberg: „Hier muss man sehr vorsichtig und sehr klug agieren. Das ist in Thüringen nicht geschehen.“

Indem die SPD der Linken den Ministerpräsidenten überlasse, ordne sie sich unter: „Ich weiß nicht, wie die SPD aus dieser Malaise wieder herauskommen will. Die Linke kann so über Jahrzehnte hinweg stärkste Partei im linken Lager bleiben - während wir nur noch zweite oder dritte Kraft sein werden.“ Die SPD müsse daher nun „Stärke und Haltung zeigen. Leider tut sie das bisher nicht. Das ist fatal“, kritisierte Hilsberg.


„Juniorpartnerschaft würde gesamte SPD erschüttern“


Noch schärfer formuliert der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Gunter Weißgerber. „Die Entwicklung der Thüringer SPD ist jämmerlich. Der einstimmige Vorstandsbeschluss ist eine Fama. Gründe, SPD zu wählen, gibt es in Thüringen nicht mehr“, sagte Weißgerber der „Welt“. Und: „Wenn die Thüringer SPD der Prototyp sein soll, dann ist es um das Endprodukt Bundes-SPD 2017 jetzt bereits geschehen.“

Weißgerber hatte schon im Sommer gemeinsam mit einem ehemaligen SPD-Bundespolitiker aus Sachsen vor einer Juniorpartnerschaft mit der Linkspartei gewarnt. In einem offenen Brief an die Thüringer SPD-Spitzenkandidatin Taubert schrieben Weißgerber und Rainer Fornahl, die Linke stehe für eine strangulierte Wirtschaft mit einem überbordenden öffentlichen Bereich. Sie verstehe die EU nicht und stehe dem transatlantischen Bündnis fremd gegenüber.

In dem Schreiben, das auch von zwei bayerischen Kommunalpolitikern der SPD unterzeichnet ist, wird Taubert aufgefordert, sich von einer Koalition mit der Linken zu distanzieren. Eine rot-rote Koalition mit den Sozialdemokraten als Juniorpartner „würde die gesamte SPD mittel- und langfristig in ihren Grundfesten erschüttern“.

Der Ilmenauer SPD-Politiker Sandmann gibt in seinem offenen Brief zu bedenken, dass es bei der Entscheidung für oder wider einer Koalition mit der Linken um mehr gehe, als um persönliche Befindlichkeiten zwischen Abgeordneten, hier gehe es um die Zukunft von Thüringen. „Gibt es wie in den letzten Jahren eine positive Entwicklung in Wirtschaft, Infrastruktur und beim Schuldenabbau oder gibt es in Thüringen das Experiment einer „SED 2.0“ (...) mit Hilfe unserer SPD?“

Vor allem mit der Geschichte der Linken hat Sandmann ein Problem. „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden SPD Mitglieder, die nicht der SED angehören wollten in den „Umerziehungslagern“ durch die Kommunisten eingesperrt, gefoltert und ermordet – zu diesen Taten gab es nie eine Aufarbeitung – geschweige denn eine Entschuldigung der SED-Anhänger oder deren Nachfolger“, schreibt der Sozialdemokrat in seinem Brief. Dann zählt Sandmann weitere „Verbrechen der SED-Diktatur“ auf, wie den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze, Zwangsadoption, Zwangsumsiedlung, Enteignung und Folter politischer Häftlinge.


„Steigbügelhalter einer obskuren Truppe“


Die Sondierungsgespräche zwischen SPD, Linken und Grünen fanden auch vor dem Hintergrund der heiklen DDR-Geschichte statt. Am Ende stand ein Papier mit dem Titel „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – Zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte“. Darin heißt es: „Weil durch unfreie Wahlen bereits die strukturelle demokratische Legitimation staatlichen Handelns fehlte, weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit in der DDR ein Ende haben konnte, wenn einer der kleinen oder großen Mächtigen es so wollte, weil jedes Recht und Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich nicht systemkonform verhielten, war die DDR in der Konsequenz ein Unrechtsstaat.“

Sandmann und andere können damit wenig anfangen. Eine Anerkennung der DDR als Unrechtsstaat auf dem Papier reiche bei weitem nicht, um die Geschichte „glaubhaft aufzuarbeiten“. Die Erklärung sei das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt ist. Man wolle SPD und Grüne glauben lassen, man hätte sich von der menschenverachtenden SED-Diktatur und allen Grausamkeiten distanziert, so Sandmann. „In Wirklichkeit klopfen sich die alt Stasi- und alt SED-Genossen auf die Schenkel und verhöhnen die Opfer weiter – im Stillen – und freuen sich über die Leichtgläubigkeit der Öffentlichkeit.“

Sandmann will wissen, wo die Gelder aus Zwangsarbeit in den Gefängnissen und Jugendwerkhöfen, aus Zwangsenteignung und aus dem Verkauf von Flüchtlingen an die BRD geblieben sind. Und schiebt die Antwort gleich hinterher: „Auf den Konten der Partei Die Linke.“ Daher gehöre zu einer „glaubhaften und aufrichtigen Aufarbeitung“ die Entschädigung der Opfer. Zudem müssten ehemalige Stasi-Spitzel aus den Parlamenten ausgeschlossen werden. „Ohne diese echte Aufarbeitung darf es keine Regierungsbeteiligung der SED-Nachfolger in unseren Parlamenten geben.“

Nicht wenige Genossen oder Anhänger der SPD argumentieren ähnlich. Auf der Facebook-Seite der Thüringen-SPD machen sie ihrem Unmut Luft. „Wer sich mit dem Teufel (SED, PDS, die Linke) abgibt, der verändert nicht den Teufel (Mauermörder-Partei), sondern der Teufel (Stasischweine) verändert einen selbst“, schreibt ein Ben Max.

Ein Olaf Ebert wirf der SPD vor, von einer einstmals geachteten Volkspartei zu „einem Haufen Opportunisten der schlimmsten Sorte“ verkommen zu sein. Mit den größten Stimmenverlusten und lächerlichen 12,5 Prozent mache sich die SPD zum „Steigbügelhalter einer obskuren Truppe“. „Ihr tut augenblicklich alles dafür, dass unser Thüringen unregierbar wird“, kritisiert User Ebert.


„Der einzige Ausweg für die SPD wären Neuwahlen“


Ein Erwin Strieder aus Hessen erinnerte an den Fall Ypsilanti, die für ihren Wortbruch, nicht mit den Linken koalieren zu wollen, „arg abgestraft“ worden sei. „Macht euch nicht zum Steigbügelhalter der Linkspartei“, mahnt er deshalb. „Denkt um in Thüringen und widersteht der Versuchung auch an anderer Stelle in Deutschland!! Niemals Rot-Rot-Grün!!!“

User Peter Heydenbluth zeigt den Genossen eine Alternative auf. „Der einzige Ausweg für die SPD mit dem geringsten Schaden wäre, wenn es Neuwahlen gäbe“, scheibt er. „Da wären sie zwar an der Talsohle ihres Misserfolges angelangt, aber wären in der Lage, sich neu aufzustellen und können sich später im Spiegel auch noch anschauen. Alles andere ist Murks.“

Der Ilmenauer Sandmann sieht noch Chancen, Rot-Rot-Grün zu verhindern. In seinem Warnbrief an die Thüringer Genossen schreibt er: „Noch ist es nicht zu spät, diesen für unsere SPD schädlichen Weg zu beenden und mit CDU und Grünen an den Verhandlungstisch zurückzukehren.“ Die CDU habe viele Angebote gemacht, die dem Land und den Menschen gut täten. Zudem ließen sich viele Ziele der SPD auch in einer stabilen schwarz-rot-grünen Regierung umsetzen.

Die Mehrheit der Menschen in Thüringen, betont Sandmann überdies, wollten Ramelow nicht als Ministerpräsident und die Linke nicht in Regierungsverantwortung. „Wir sollten die Menschen ernst nehmen und keine Experimente wagen, die dem Land und den Menschen schaden.“

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