Flüchtlinge Wie das Chaos bewältigt werden soll

Mazedonien als Bollwerk gegen Flüchtlinge? Oder doch lieber eine Entlastung über die Türkei? Europa diskutiert zwei Pläne, um Ordnung in die Flüchtlingskrise zu bringen. Wie die Pläne funktionieren und welcher wahrscheinlicher ist.

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Flüchtlinge erreichen mit einem schlauchboot über das Mittelmeer das griechische Festland. Quelle: dpa Picture-Alliance

Mit dem Knaus-Plan könnte sich die Flüchtlingskrise in wenigen Wochen entspannen. Erstens: Die Türkei schließt die Grenze nach Griechenland, damit keine Flüchtlinge mehr nach Europa gelangen. Zweitens: Die Türkei holt alle Flüchtlinge zurück, die sich derzeit in Griechenland aufhalten. Und drittens: Die EU-Staaten nehmen der Türkei im Gegenzug großzügige Kontingente syrischer Flüchtlinge ab, um das Land zu entlasten.

Gerald Knaus von der „Europäischen Stabilitätsinitiative“ hat den Plan vor Monaten entwickelt. „Es dürfen nur Syrer über die Kontingente nach Europa kommen, möglicherweise auch Iraker, wenn sie glaubhaft machen, dass sie ebenfalls vor dem Krieg fliehen“, sagt Knaus. An alle anderen müsse das Signal gehen, dass sie keine Chance auf Asyl in Europa haben. „Wenn sich das erstmal rumspricht, werden sich weniger Menschen auf den Weg machen“, sagt der Politikberater.

Knaus wirbt seit September letzten Jahres für seinen Vorschlag, den er selbst den „Merkel-Plan“ nennt – in der Hoffnung, dass die Bundeskanzlerin ihn umsetzen wird. Mehrmals verhandelte Angela Merkel bereits mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, unter welchen Bedingungen die Türkei für ein solches Engagement bereit wäre.

Allerdings zweifelt Ankara, ob es die Europäer ernst meinen. Die Türken verlangen, dass die finanziellen Hilfen in Höhe von zunächst drei Milliarden Euro rasch fließen. Auch die Visa-Freiheit für türkische Bürger soll zügig umgesetzt werden.

Aus Sicht von Knaus‘ entscheidend: Eine „europäische Koalition der Willigen“ müsste die Kontingente aus der Türkei nicht irgendwann übernehmen, sondern sofort. Tausende syrische Flüchtlinge würden dann per Flugzeug direkt nach Deutschland, Österreich, Schweden und Co. geflogen werden. Ankara würde merken, dass es sich auf die europäischen Partner verlassen kann – so die Hoffnung.

Für Josef Janning vom „European Council on Foreign Relations hat der Knaus-Plan mehrere Schwächen. „Europa darf sich nicht von der innenpolitische Lage der Türkei abhängig machen“, warnt der Politikwissenschaftler. Janning hält es zudem für unrealistisch, dass die Türkei die Grenze zu Griechenland vollständig schließen kann. „Selbst wenn das gelingen würde, finden die Flüchtlinge eben einen anderen Weg nach Europa.“

Und der wohl größte Knackpunkt: Iraker und Afghanen, nach den Syrern die größten Bevölkerungsgruppen unter den Flüchtlingen, könnten nicht über die Kontingente nach Europa kommen. Doch lassen sie sich wirklich von der Türkei abhalten nach Europa weiterzuziehen?

Orban will Mazedonien als Bollwerk gegen Flüchtlinge

Janning sieht daher keine Alternative zu Hotspots in Griechenland und Italien sowie zu einer europaweiten Verteilung von Flüchtlingen, die an den EU-Außengrenzen ankommen. Genau die funktioniert aber nicht. Im September hatte sich die EU darauf verständigt, 160.000 Flüchtlinge europaweit zu verteilen. Weniger als 500 haben mittlerweile eine neue Heimat. Von den fünf Hotspots in Griechenland funktioniert zudem erst einer.

Mazedonien, das weder EU-Mitglied ist noch zum Schengen-Raum gehört, zieht nun eigenmächtig Konsequenzen und will Flüchtlinge per Zaun fernhalten. Das Militär des Landes errichtet an der Grenze zu Griechenland immer mehr Stacheldraht. Damit kommt die mazedonische Regierung Forderungen aus Ungarn und Slowenien nach, wonach das Land zur neuen europäischen Außengrenze aufgebaut werden soll.

Gerald Knaus kann dem Szenario nichts abgewinnen. „Die Vorstellung, dass schwache Staaten wie Mazedonien oder Albanien ihre Grenzen so sichern können, dass keine Flüchtlinge mehr durchkommen, ist absurd.“ Daran glaube nicht mal der ungarische Premier Viktor Orban.

Doch auch die EU-Kommission treibt den Mazedonien-Plan voran – vor allem um Griechenland zu drohen. Wenn Athen in Sachen Grenzsicherung nicht effektiver wird, fliegt das Land aus dem Schengen-Raum, so das Kalkül. Am Mittwoch hatte die EU-Kommission vermeldet, dass im Januar pro Tag weiterhin knapp 2.200 Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland gekommen sind, für den Winter sei das ein hoher Wert. Immerhin liege die Quote der Erstregistrierung samt Fingerabdruck mittlerweile bei knapp 80 Prozent. Im September vergangenen Jahres seien gerade Mal acht Prozent erfasst worden.

In einer Woche kommen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel zu einem Krisengipfel zusammen. Beide Pläne – Kontingente aus der Türkei und eine Abschottung des West-Balkans – werden dann wohl diskutiert werden. Gut möglich, dass letztlich beide umgesetzt werden. Deutschland und eine Koalition der Willigen könnte die Kooperation mit der Türkei vorantreiben, die Ost- und Südeuropäer (mit Ausnahme Griechenlands) wiederum den Mazedonien-Plan. An einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik wäre Europa dann gescheitert.

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