Parteitag der Tories in Manchester Rishi Sunaks zweifelhafter Neustart

Manchester: Rishi Sunak, Premierminister von Großbritannien, reagiert während des Jahreskongresses der Konservativen Partei im Kongresszentrum Manchester Central. Quelle: dpa

Großbritanniens angeschlagener Premier versucht auf dem Parteitag der Tories in Manchester, die Partei aus dem Umfragetief zu holen. In einem Landesteil dürfte er sich jedoch kaum Freunde gemacht haben.

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Rishi Sunak hat eine gewaltige Aufgabe vor sich. Als Großbritanniens Premier am Mittwochmittag auf dem Parteitag der konservativen Partei in Manchester den großen Konferenzsaal betritt, muss er das Ruder herumreißen. Sunak ist rund ein Jahr im Amt. Sowohl seine Umfragewerte als auch die seiner Partei könnten kaum schlechter sein. Wären in Kürze Parlamentswahlen, würden die Tories wahrscheinlich eine verheerende Niederlage erleben.

Nicht nur das Ansehen der Tories ist ramponiert. Sunak muss auch wegkommen vom Image des Ex-Bankers und Technologie-Geeks, der wegen seines (größtenteils angeheirateten) Vermögens nicht versteht, wie es den einfachen Leuten im Land ergeht. Und so steigt er, nach einer Vorstellung durch seine Frau, mit einer Geschichte über seine Eltern ein, einen Hausarzt und eine Apothekerin, die sich in der Küstenstadt Southampton hochgearbeitet haben. Geschichten über hart arbeitende Aufsteiger kommen bei den Tories immer gut an.

Sunak preist Großbritanniens sicherheitspolitische Rolle in Europa an und erklärt, er sei stolz auf die Führungsrolle des Landes bei der Unterstützung der Ukraine. Auch solche Appelle an die anhaltende Relevanz der ehemaligen Weltmacht verkaufen sich in konservativen Kreisen wie von selbst.

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von Markus Zschaber

Doch dann driftet Sunak sofort in Parteipolitik ab, und er wird kleinteilig: Hat Labour-Parteichef Keir Starmer nicht früher seinen Vorgänger unterstützt, den linken NATO-Kritiker Jeremy Corbyn? Schon sieht Sunak aus wie ein Parteichef in der Defensive.

Die Menschen im Land hätten Recht, erklärt Sunak dann, wenn sie sich von der Politik im Stich gelassen fühlten. „Denn die Politik funktioniert nicht so, wie sie soll.“ Seit 30 Jahren herrsche in der Politik ein Status Quo vor, bei dem kurzfristige Interessen Vorrang hätten vor langfristigen Zielen. „Unsere Mission: Das Land grundlegend zu verändern!“ Augenblick: Waren die Tories, also Sunaks Partei, nicht in den letzten 13 dieser 30 Jahre an der Macht?

Sein Ziel sei es, „langfristige Entscheidungen für eine strahlendere Zukunft“ zu treffen, erklärt Sunak weiter. Und lobt erst einmal den drastischen Rückzieher bei den Klimazielen seines Landes, den er kürzlich verkündet hat.

Das unter Theresa May gesetzlich festgeschrieben Ziel des Landes, bis 2050 klimaneutral zu werden, werde Großbritannien dennoch erreichen, versichert Sunak dann seinen Zuhörern. Wie das gelingen soll, verrät er nicht.

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Ob ihm dieser umweltpolitische Schwenk nach rechts bei den Wählerinnen und Wähler helfen wird, ist ebenso fraglich. Umfragen zufolge gibt es in Großbritannien in Sachen Klimaneutralität weiterhin deutlich mehr Unterstützer als Gegner – und das selbst bei den Wählerinnen und Wählern der Tories.

Die Rede geht weiter: Nach einem kurzen Ausflug zum Thema Brexit (den der langjährige Brexit-Unterstützer Sunak im Gegensatz zu seinen Landsleuten offenbar weiterhin aus vollem Herzen befürwortet), kommt Sunak in seiner Rede bei dem Thema an, das die Konferenz seit Tagen überschattet: die Zukunft des Hochgeschwindigkeitszugnetzes HS2.

Berichte über eine mögliche Streichung des geplanten Streckenabschnitts von Birmingham nach Manchester kursieren schon seit dem Wochenende durch die britischen Medien. Genauso lange schiebt Sunak das Thema vor sich her. In Interviews wurde er dazu Dutzende Male befragt. Eine klare Antwort gab er nie. Damit tat er sich und seiner Partei keinen Gefallen. Das Thema HS2 hing über dem Parteitag wie ein schlechtes Omen.

In seiner Rede dann die Gewissheit. Sunak erklärt, in Fragen der Infrastruktur herrsche schon zu lange ein „falscher Konsens“ vor, der besage, man müsse große Städte miteinander verbinden. „Und am wichtigsten ist immer London“, fügt er hinzu. Was der Norden Englands vor allem brauche, seien jedoch bessere Verbindungen zwischen den dortigen Städten. „HS2 ist das ultimative Beispiel des alten Konsenses“, erklärt Sunak dann. Daher streiche er den geplanten Abschnitt nach Manchester. Das gesparte Geld, 36 Milliarden Pfund, werde stattdessen in „Hunderte neuer Projekte im Norden“ fließen. Großer Jubel im Saal.

Und tatsächlich haftet dem HS2-Projekt seit Jahren der Hauch von Stillstand und Verschwendung an. Ins Leben gerufen hat es 2009 die Labour-Regierung des damaligen Premiers Gordon Brown. Großbritanniens Hochgeschwindigkeitszugnetz beschränkte sich damals auf die gerade einmal 109 Kilometer lange Strecke von Londons St. Pancras-Bahnhof zum Eurotunnel. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Zum Vergleich: Spanien verfügt aktuell über ein 3487 Kilometer langes Hochgeschwindigkeitszugnetz. In Frankreich sind es 2734, in Deutschland immerhin 1517 Kilometer.

Als der Konservative David Cameron nach seinem Wahlsieg 2010 den Posten des Premiers von Brown übernahm, hielt er an dem Projekt fest. Nach öffentlichen Beratungen schlug seine konservativ geführte Regierung eine Route in Form eines „Y“ vor: Das HS2-Streckennetz sollte zunächst von London nach Birmingham ausgebaut werden und sich dort gabeln. Der nordwestliche Teil sollte nach Manchester weiterführen, der nordöstliche Teil in Leeds enden. Von einem Anschluss bei Manchester aus sollten einige der Hochgeschwindigkeitszüge über das bestehende Bahnnetz bis nach Schottland weiterfahren.

Als das Projekte 2012 startete, war von Kosten in Höhe von 32 Milliarden Pfund die Rede. Die ersten Arbeiten am Abschnitt zwischen London und Birmingham begannen 2017, der offizielle Startschuss für die Bauarbeiten erfolgte 2020. Diese Arbeiten laufen derzeit auf Hochtouren. HS2 ist aktuell das größte im Bau befindliche Infrastrukturprojekt in Europa.

2020 stiegen die geschätzten Kosten bereits auf über 100 Milliarden Pfund. Kritiker machten sich dafür stark, dieses Geld stattdessen dafür zu nutzen, um das lückenhafte und veraltete Zugnetz in Nordengland auszubauen. Befürworter erklärten, dass man mit der Verlegung von Langstreckenzügen auf das HS2-Netz zusätzliche Kapazitäten auf den bereits vorhandenen Strecken im Norden schaffen könne. Da Sunak den Abschnitt zwischen Birmingham und Manchester nun gestrichen hat, fällt diese Möglichkeit nun weg.

Nach etlichen Verzögerungen und zunehmend ausufernden Kosten hat die Regierung von Boris Johnson im November 2021 bereits den geplanten Abschnitt zwischen Birmingham und Leeds gestrichen. Der Norden geht nun in Sachen HS2 vollkommen leer aus.

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