80 Prozent weniger Stickoxid-Ausstoß im Vergleich zum Vormodell, 13 Prozent weniger CO2 bei 25 PS mehr Leistung. Der Steckbrief des neuen Daimler-Diesels mit der kryptischen Bezeichnung OM654 liest sich wie eine direkte Antwort auf die seit Monaten andauernden Debatten um den einst gehypten und jetzt gescholtenen Diesel.
Keine Woche vergeht, ohne dass eine Nicht-Regierungs-Organisation – allen voran die Deutsche Umwelthilfe (DUH) – neue Testergebnisse präsentiert. Längst steht nicht mehr nur VW unter Beschuss. Einige Diesel-Modelle von Opel, Renault, Fiat und auch Mercedes, so prangert die DUH an, pusteten unter realen Fahrbedingungen ein Zigfaches mehr an Stickoxiden heraus als die Grenzwerte erlaubten und trügen damit zur Luftverschmutzung in Innenstädten bei. Erst vor wenigen Tagen rief Stuttgart, Stammsitz von Daimler, Feinstaubalarm aus, weil die Grenzwerte weit überschritten waren.
Kurz: Der Dieselmotor hat es dieser Tage nicht leicht. Dass Daimler gerade jetzt seinen neuen Super-Diesel präsentiert hat mit den aktuellen Ereignissen jedoch rein gar nichts zu tun.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Die Entwicklung des neuen Antriebs nahm ihren Anfang nämlich schon vor gut fünf Jahren. Dass der neue Diesel jetzt den Weg in den Markt findet und erstmals in der neue E-Klasse, die ab April unters Volk kommt, eingebaut wird, ist reiner Zufall.
Und ein Stück weit auch nicht. Denn schon vor Jahren war den Daimler-Ingenieuren klar: Mit dem bestehenden Diesel-Aggregat – dem OM 651 – werden wir die immer niedriger angesetzten Grenzwerte für Stickoxide und CO2 nicht schaffen. "Die neuen Premium-Diesel sind sparsamer, stärker, leichter rund kompakter – und sie sind darauf ausgelegt, alle künftigen Abgasvorschriften weltweit zu erfüllen", sagt Thomas Weber, Entwicklungsvorstand von Daimler. Der neue Motor kommt zunächst in E-, S-, GLC- und C-Klasse kommen – bis 2019 in Form von Derivaten aber auch in die kleineren Modelle der A-, B-, und GLA-Klasse. "Der OM 654 ist der Beginn einer neuen Motorfamilie", kündigt Bernhard Heil, Leiter der Motorenentwicklung bei Mercedes-Benz an.
Was kann der Neue besser?
Der neue Motor soll mit einem der bisherigen Schwächen seines Vorgängers Schluss machen. Bei dem wurden mit zunehmender Sportlichkeit des Fahrstils auch mehr Stickoxide freigesetzt. Beim neuen Antrieb soll diese Schwankungsbreite deutlich geringer sein. Sprich: Auch wer aggressiver fährt, pustet nicht automatisch mehr Abgase in die Luft.
Auch bei geringeren Geschwindigkeiten im Stadtverkehr soll der Neue sauberer arbeiten. Möglich ist das durch eine neue Anordnung des Abgasreinigungssystems. Das liegt nun näher am Motor. Kurze Wege bedeuten heißere Abgase und das hilft beim Reinigungsprozess, wenn Stickoxid-Partikel mit Hilfe von verdampfter Harnstoff-Lösung Ad-Blue. Je länger die Wege, desto mehr sinkt die Temperatur und das Verdampfen wird schwieriger, der Wirkungsgrad schlechter. Die SCR-Verfahren – also die Zugabe des Reduktionsmittels AdBlue in den Abgasstrang – soll in den nächsten Jahren den Weg in alle Modelle finden. "Wir glauben, dass man ohne SCR nicht mehr klar kommt", so Heil.
Ein weiteres Plus des neuen Motors: Auch bei niedrigeren Außentemperaturen bis etwa null Grad soll das Katalysator-System seine volle Wirkung zeigen. Bei einer vom niederländischen Testinstitut TNO veröffentlichten Messung stachen die hohen Stickstoffwerte bei Temperaturen von sieben bis zehn Grad Celsius ins Auge.
Tatsächlich darf der Hersteller zum Schutz des Motors, die Wirkung der Abgasreinigung unter bestimmten Bedingungen wie etwa niedrige Außentemperaturen einschränken. Offenbar scheint man bei Daimler aber auch hier schon länger gewisse Schwächen beim OM 651 erkannt zu haben.
Die neuen Testverfahren für den Prüfstand WLTP (Worldwid harmonized Light vehicles Test Procedure) und der Straßentest RDE (Real Driving Emissions), die Werte ermitteln sollen, die näher an den realen Verbräuche als auch Schadstoffemissionen liegen, sollen mit dem neuen Motor kein Problem sein, versprechen die Mercedes-Ingenieure.
"Wir kommen unter die 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer", erklärt Heil. Laut RDE dürfen Diesel-Fahrzeuge ab Euro 6 bis 2020 den Grenzwert von 80 Milligramm maximal um das Doppelte überschreiten.