Hat sich durch Ihren Antritt, Herr Wagener, die Art geändert, wie Design gearbeitet wird?
Wagener: Ja, fundamental. Früher hat man 15 verschiedene Maßstabsmodelle gemacht und dann aus jedem Modell irgendwas genommen, das man mag. Das führte aber dazu, dass wir eine große Diversität in unserer Produktpalette hatten. Von rund bis eckig – es war keine klare Markenidentität erkennbar. Gemeinsam haben wir – Vorstand, Marketing und Design – eine Design- und Markenphilosophie erarbeitet: Mercedes ist eine Luxusfirma, wir bauen Luxusautos. Und Luxus ist immer auch ein bisschen opulent. Das wollten wir miteinander verbinden. Das Deutsche, Pure, aber mit einer sexy Optik.
Esslinger: Ich finde eure Änderungen grundsätzlich gut. Aber noch besser wäre es, wenn euer Vorstand wie Steve Jobs wäre. Dann könntet ihr die ganz coolen Sachen machen. Das Zweite sehe ich, wenn ich in den Himmel schaue. Ich komme gerade aus dem chinesischen Smog und blicke hier endlich wieder in einen blauen Himmel. Aber die Welt wird ja verstädtert. Und in der Stadt zu fahren erfordert eine andere Mobilität als hier in der schwäbischen Provinz. Mercedes muss eine Semantik finden, die jenseits vom Verbrennungsmotor liegt. Ein Konzept, das das elementare Bedürfnis „Ich will irgendwohin“ befriedigt.
Wagener: Da wird sich auch noch unheimlich was tun. Die ganze Branche befindet sich im Umbruch. In den nächsten 10 bis 15 Jahren oder noch schneller wird sich das Auto so drastisch verändern wie in den vergangenen 50 Jahren nicht. Das ist eine riesige Herausforderung, auch im Hinblick auf die Ressourcen, die man als Unternehmen braucht. Du wärst angetan, wie intensiv unsere Diskussionen über Design im Vorstand ablaufen. Und, Hartmut, unser Steve heißt Dieter.
Täuscht uns der Eindruck, dass vor allem der Faktor Schnelligkeit künftig über Erfolg entscheidet?
Wagener: Das stimmt, Schnelligkeit ist unheimlich wichtig.
Also haben junge Unternehmen Vorteile gegenüber schwerfälligen Konzernen?
Wagener: Wenn ich uns mit den ganzen Start-ups vergleiche, mit denen wir uns austauschen, sieht man schnell, dass wir gar nicht so verschieden sind. Aber klar, im Elektroautobereich ist aktuell Tesla der entscheidende Spieler. Die haben natürlich den Vorteil, fünf Jahre eher auf das Thema aufgesprungen zu sein und mit Elon Musk einen Chef zu haben, der einfach tierisch vorantreibt. Wenn ich andererseits die Medien verfolge, wird die Finalisierung der neuen Technik in diesem auf Schnelligkeit ausgelegten Modell eher auf die Straße, zum Kunden verlagert. Das können wir als Mercedes nicht machen. Jedes unserer Pilotprojekte muss zu 100 Prozent funktionieren, bevor wir unsere Produkte ausliefern.
Esslinger: Trotzdem ist es nicht zu bestreiten, dass große Organisationen dazu neigen, vor lauter Selbstgewissheit große Umbrüche zu verschlafen. Gerade hier, im reichen Deutschland. Die Gefahr von Erfolg ist, dass man immer das Gleiche macht und glaubt, dass es immer weiter funktioniert. Ich empfehle, dass jedes Unternehmen eine Einheit einrichtet, die ganz gezielt das existierende Geschäftsmodell zerstören soll.
Das macht doch heute jeder Konzern.
Esslinger: Aber nur wenige investieren dafür wirklich Geld. Das ist sehr wichtig. Das wäre auch eine Möglichkeit für Mercedes. Nicht zu sagen: Wir machen es gut und warten. Sondern wie Henry Ford zu denken: Wir entwickeln Mobilität komplett neu.
Wagener: Aber genau das machen wir. Hier im Design arbeiten wir mit verschiedenen Gruppen, deren Entwürfe miteinander konkurrieren. Es ist immer ein Wettbewerb. Da will keiner verlieren. Um die beste Lösung muss immer gekämpft werden.
Ohne technisches Wissen, ohne Ethik geht es doch nicht. Wie wichtig ist der Austausch über Grenzen des Designs hinaus?
Esslinger: Das ist eine sehr gute deutsche Frage.