Bürger wollen bei Sondierungen Ergebnisse sehen
Nach der Vertagung der Jamaika-Sondierungen auf Freitagmittag ist ein Ende der Gespräche über eine Koalition aus Union, FDP und Grünen nicht in Sicht. FDP-Fraktionsvize Wolfgang Kubicki und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) rechnen mit Verhandlungen über das ganze Wochenende. „Die Fronten haben sich verhärtet“, sagte Kubicki am Freitag im ARD-„Morgenmagazin“.
Als zentrales Problem nannte Kubicki den von den Grünen geforderten Familiennachzug auch für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz. Hier sei für die CSU die Schmerzgrenze erreicht. „Wir haben versucht, Brücken zu bauen, sind aber bisher leider gescheitert.“ Weiter Streit gibt es aber auch über die Kernforderung der FDP, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen.
Altmaier zeigte sich am Freitagmorgen trotz der stockenden Gespräche zuversichtlich, dass die Sondierungen zu einem konstruktiven Ergebnis führen werden. Ebenfalls im ARD-„Morgenmagazin“ sagte der CDU-Politiker, er halte „die Probleme für lösbar“. Die Verhandlungen könnten zu einem guten Ende führen. „Wir werden dieses Wochenende dafür einsetzen, eine gute Lösung zu erreichen.“
Bereits für 11.00 Uhr an diesem Freitag waren neue Beratungen der Parteivorsitzenden von CDU, CSU, FDP und Grünen im Konrad- Adenauer-Haus angesetzt. Um 12.00 Uhr sollten die Sondierungen in unterschiedlichen Gruppen weitergehen.
Am frühen Freitagmorgen hatten sich die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen nach etwa 15 Stunden ergebnisloser Beratungen vertagt. Kanzlerin Angela Merkel sagte nach Ende der Gespräche nur: „Guten Morgen. Heute geht's weiter.“ Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: „Wir gehen in die Verlängerung.“ Wie lange diese dauern werde, „hängt auch vom Schiedsrichter ab“, meinte er, ohne den Namen der Kanzlerin und CDU-Chefin zu nennen.
Jamaika: Perspektiven, Probleme und Unklarheiten
Der amtierende Bundesfinanzminister Peter Altmaier (CDU) sträubte sich zuletzt bei der Vorlage der Steuerschätzung dagegen, den Finanzspielraum auf 30 Milliarden Euro zu taxieren - obwohl die von ihm selbst vorgelegten nackten Zahlen dies so wiedergaben. In der FDP wird der Spielraum eher bei 40 Milliarden Euro gesehen, bei den Grünen geht man von weniger aus. Zuletzt pendelten sich die von den Sondierern genannten Zahlen in einem Bereich von 37 bis 39 Milliarden Euro ein, genannt wurde aber auch eine Summe von 45 Milliarden Euro. Dem gegenüber standen Berechnungen von Haushaltspolitikern, dass sich die Wünsche der Jamaika-Partner auf über 100 Milliarden Euro summieren würden.
Zum größten Streitpunkt in den Finanzverhandlungen hat sich die Forderung der FDP entwickelt, den Solidaritätszuschlag in dieser Legislaturperiode komplett abzuschaffen. Die Grünen lehnen einen völligen Verzicht in diesem Zeitrahmen ab, weil dies Gutverdienern sehr viel mehr zugute käme als den Beziehern geringer Einkommen. Zudem würde selbst ein Ausstieg am Ende der Legislatur, also 2021, den Bund Einnahmen von 21 Milliarden Euro kosten. Andererseits weisen einige Sondierer darauf hin, dass - anders als bei Einkommensteuer-Senkungen - die Bundesländer einen Soli-Ausstieg im Bundesrat nicht blockieren könnten.
Angesichts der Debatte über den Solidaritätszuschlag sind andere Maßnahmen in den Hintergrund gerückt, so auch die von Union und FDP im Wahlprogramm zugesagte Einkommensteuerreform. Ganz abrücken wollen vor allem der Wirtschaftsflügel der CDU und die FDP von dem Vorhaben aber nicht. Welchen finanziellen Umfang die Steuersenkungspläne am Ende haben könnten, ist unklar.
Im Gespräch sind bei den Sondierern weitere Maßnahmen, so die von der CSU gewünschte Ausweitung der Mütterrente oder ein Baukindergeld von 1200 Euro pro Jahr. Einig sind sich die Sondierer offenbar aber, dass das Kindergeld um 25 Euro und die steuerlichen Kinderfreibeträge auf 8000 Euro steigen sollen.
Um den Wohnungsbau zu fördern, wollen Union und FDP die degressiven Abschreibungsmöglichkeiten bei Neubauten für begrenzte Zeit wieder einführen: Investoren könnten dann ihre Kosten schneller steuerlich geltend machen. Die Grünen wollen dagegen gezielter in sozialen Wohnungsbau investieren. Wieviel Geld diese Maßnahmen unterm Strich verschlingen und welche davon in einem Koalitionsvertrag stehen werden, ist bisher offen.
Zusätzliches Geld in die Kasse könnten die Koalitionspartner bekommen, wenn sie sich von den restlichen Bundesbeteiligungen trennen, insbesondere an der Deutschen Telekom und der Post. An der Telekom könnte der Bund noch Anteile von 14,5 Prozent zu Geld machen. Das Unternehmen insgesamt wird derzeit mit rund 70 Milliarden Euro bewertet. An der Post, die rund 46 Milliarden Euro schwer ist, hält der Bund 21 Prozent.
Wenig Chancen hat aktuell dagegen ein Ausstieg des Bundes aus der Commerzbank, weil der Aktienkurs des Geldhauses weit unter dem ursprünglichen Kaufpreis liegt - den Bürgern müsste man also einen hohen Verlust erklären. Der Bund hält an der Commerzbank derzeit noch einen Anteil von 15,6 Prozent.
Anders sieht es beim Staatskonzern Deutsche Bahn aus. Hier hatte das Finanzministerium zuletzt wieder den Verkauf der Bahn-Logistiktochter Schenker ins Spiel gebracht, deren Wert auf etwa fünf Milliarden Euro taxiert wird.
Das Problem bei all diesen Verkaufsoptionen ist aber die Schuldenbremse im Grundgesetz, die dem Bund zwar jährlich neue Kredite von 0,35 Prozent des BIP erlaubt. Allerdings: Weil der Schuldenspielraum "strukturell", also auf Dauer, definiert ist, fällt er tatsächlich viel kleiner aus. So müssen konjunkturelle Effekte ebenso abgezogen werden wie Erlöse aus dem Verkauf von Staatsbeteiligungen. Theoretisch könnte also ein Bundes-Haushalt, der an sich ausgeglichen ist, verfassungswidrig werden, weil die Privatisierungserlöse den erlaubten Verschuldungsspielraum durch die Schuldenbremse übersteigen.
CSU-Chef Horst Seehofer räumte schwerwiegende Probleme bei den Jamaika-Sondierungen ein, will aber weiter und ohne Zeitlimit für ein Bündnis kämpfen. „Wir werden alles Menschenmögliche tun, um auszuloten, ob eine stabile Regierungsbildung möglich ist“, sagte der bayerische Ministerpräsident am frühen Freitagmorgen. In vielen Themen gebe es inhaltlich noch keine ausreichende Annäherung, dies gelte auch für den Abbau des Solidaritätszuschlags.
Aus FDP-Kreisen erfuhr dazu die Deutsche Presse-Agentur am Morgen, dass die Liberalen ein abgespecktes Kompromissangebot nicht akzeptieren wollten. Der Vorschlag, den Soli in der Wahlperiode bis 2021 um acht bis zwölf Milliarden Euro abzubauen, sei zu wenig. „Das reicht uns nicht“, hieß es.
Soli und Subventionen: Kernpunkte der Jamaika-Haushaltssondierungen
Die Jamaika-Unterhändler bekennen sich grundsätzlich zum ausgeglichenen Haushalt. Sie wollen also keine neuen Schulden aufnehmen. Das wäre ohnehin schwierig, weil die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse dem Bund seit 2016 die Aufnahme von Krediten weitgehend verwehrt. Nur in geringem Umfang von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung sind neue Schulden erlaubt. Bezogen auf das Bruttoninlandsprodukt 2016 entsprach das etwa 10,97 Milliarden Euro. Für „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen“ ist ausnahmsweise auch eine höhere Schuldenaufnahme erlaubt, für die aber ein Tilgungsplan erstellt werden muss.
Die potenziellen Koalitionäre wollen keine neuen Substanzsteuern, schließen also die im Grünen-Wahlprogramm geforderte Vermögenssteuer aus. Für Union und FDP ist sie ein rotes Tuch. Auch eine Erhöhung der Erbschaftsteuer wäre wohl unwahrscheinlich. Andere Substanzsteuern wie etwa die Grundsteuer auf Grundstücke erhebt der Staat schon heute.
Hier sollen unter anderem Familien mit Kindern profitieren.
Die verhandelnden Parteien wollen den „Soli“ abbauen. Die FDP will ihn in der aktuellen Wahlperiode komplett abschaffen, und zwar möglichst schnell. Die Union will stufenweise vorgehen. Die Grünen halten das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne den Soli hingegen nicht für machbar. Die Abschaffung würde eine Lücke in den Staatshaushalt reißen: Der Solidaritätszuschlag spülte 2016 insgesamt 16,9 Milliarden Euro in die Staatskasse.
Gebäude verursachen in Deutschland etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs und 30 Prozent des Ausstoßes des Treibhausgases CO2. Investitionen zum Beispiel in eine bessere Wärmedämmung oder in moderne Heizkessel könnten in Zukunft besser von der Steuer abgesetzt werden.
Hier wollen die möglichen Jamaika-Partner den Mangel an Mietwohnungen angehen. Investoren könnten dann etwa ihre Kosten teilweise steuerlich absetzen. Auch landwirtschaftliche Flächen sollen dazu für den Wohnungsbau freigegeben werden.
Vor allem Unternehmen sollen die Anschaffungskosten für bewegliche Wirtschaftsgüter wie Maschinen oder Fahrzeuge stärker von der Steuer absetzen können. „Degressiv“ bedeutet, dass Güter mit längerer Nutzungsdauer in immer geringerem Umfang abgesetzt werden können. AfA steht für „Absetzung für Abnutzungen“.
Firmen, die in Forschung und Entwicklung investieren, sollen ihre Aufwendungen zum Teil steuerlich absetzen können.
Auf Betreiben der Grünen sollen vor allem staatliche Hilfen auf den Prüfstand, die den Klimazielen widersprechen. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer nannte als mögliches Beispiel aber auch die Förderung von Elektroautos, weil davon vor allem Besserverdiener profitieren würden.
Vieles hängt Teilnehmern zufolge am Flüchtlingsthema und dabei besonders an der Unionsforderung, den bis März 2018 befristeten Stopp des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus zu verlängern. Die Grünen wollen die Regelung auslaufen lassen und den Nachzug wieder ermöglichen. Sie zeigten sich dann aber dem Vernehmen nach gesprächsbereit. Das Angebot Merkels bei Klimaschutz und Kohleausstieg sahen sie als ersten Schritt, der annehmbar sei, wenn sich die CSU beim Thema Flüchtlinge bewege.
SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles rechnet trotz der vertagten Sondierungsgespräche am Ende mit einem Jamaika-Bündnis. Allerdings zeichne sich zwischen Union, FDP und Grünen eine „Koalition des Misstrauens“ ab, sagte Nahles am Freitag im ARD-„Morgenmagazin“. Auf die Frage, ob die SPD bei einem Scheitern der Gespräche doch noch zu einer Regierungsbeteiligung bereit wäre, sagte Nahles: „Nein, es wird dann auf Neuwahlen hinauslaufen.“
Auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch äußerte sich kritisch: „Dieses unwürdige Gezerre zeigt: Die Schwarze Ampel wird keine gute Regierung für das Land, sondern ist schon jetzt eine Zwangsgemeinschaft aus Angst vor dem Wähler.“