Großbritannien 2024 Die Zeichen stehen auf Umbruch

Untergangsstimmung in der Regierung von Rishi Sunak Quelle: imago images

2023 war in Großbritannien ein Jahr des politischen und wirtschaftlichen Stillstandes. Im kommenden Jahr dürften die Weichen für Veränderungen gelegt werden.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Anfang 2023 war die Stimmung in Großbritannien ausgesprochen schlecht. Das politische Chaos seit dem EU-Referendum 2016 überschattete weiter das Land. Mit dem Ex-Banker Rishi Sunak hatte das Land wenige Wochen vor dem Jahreswechsel seinen vierten konservativen Premier innerhalb von vier Jahren bekommen. Die Folgen des Brexits schlugen immer stärker durch. Britische Reisende, die an europäischen Flughäfen in langen Schlangen darauf warten mussten, dass ihre Pässe gestempelt werden, waren ebenso wenig „amused“ wie britische Unternehmen, die Zollpapiere ausfüllen mussten, wenn sie ihre Waren aufs europäische Festland verkaufen wollten.

Die Finanzmärkte waren Anfang 2023 wegen des Chaos im vorherigen Herbst weiter aufgekratzt. Damals hatten die Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng mit ihrem ideologisch überdrehten Haushaltsplan beinahe eine weitere Finanzkrise losgetreten. Die Energiepreise befanden sich in dem Land, das auf Gas besonders stark angewiesen ist, auf Rekordniveau. Die Inflation kletterte auf über 10 Prozent. Es herrschte Krisenstimmung.

Gemessen daran, ist das Land besser durch 2023 gekommen, als es viele Beobachter erwartet hätten. Die Inflation sank zuletzt auf unter vier Prozent, die Energiepreise gingen zurück und die Stimmung innerhalb der britischen Wirtschaft stabilisierte sich entsprechend. Dass die Wirtschaft des Landes 2023 um 0,5 Prozent wuchs, war so gesehen ein Erfolg.

Großbritannien leidet unter einem Brexit-Kater. Besonders groß ist die Ernüchterung ausgerechnet in einer Branche, die beim EU-Referendum 2016 fast geschlossen für den EU-Austritt stimmte: den Fischern.
von Sascha Zastiral

Zu dieser Stabilisierung hat auch Rishi Sunak beigetragen. Er hatte bei seinem Amtsantritt am Premier im Oktober 2022 versprochen, nach den chaotischen Amtszeiten seiner Vorgänger Johnson und Truss die dringend benötigte „Integrität und Verantwortlichkeit“ in das höchste Regierungsamt zurückzubringen. Die demonstrative Ruhe zahlte sich zunächst aus: Das vorangegangene Chaos war schnell wieder vergessen.

Das war es dann aber auch. Im Lauf des Jahres zeigte es sich immer mehr, dass Sunak im Kern ein erzkonservativer Politiker ist, der Veränderung offenbar genauso so wenig mag wie Schnellschüsse. An die Stelle zukunftsweisender Entscheidungen traten Stillstand und Rückschritte. Sunak nahm immer mehr Abstand von den Klimazielen des Landes. Er stampfte ein Hochgeschwindigkeits-Bahnprojekt ein – und garnierte einen Post in den sozialen Medien dazu mit einem Foto, das ihn in einem Privatjet zeigt. Politisches Feingefühl geht anders.



Er ist wieder da

Auf dem Parteitag des Tories im Oktober versuchte Sunak bedingt plausibel, sich als Kandidat des Wandels zu präsentieren, der nur wenig mit seinen Vorgängern gemeinsam habe. Kurze Zeit später berief er David Cameron, konservativer Premier von 2010 bis 2016, ins Amt des Außenministers. An die Stelle zukunftsweisender Ideen trat immer mehr Rechtspopulismus. In den vergangenen Wochen hat sich Sunak in Pläne aus der Zeit Boris Johnsons verzettelt, Asylbewerber noch vor Abschluss ihrer Verfahren nach Ruanda abzuschieben.

Keine Überraschung also, dass die Tories, die seit dem Chaos um den Skandalpremier Boris Johnson stark an Unterstützung eingebüßt haben, weiterhin meilenweit hinter der oppositionellen Labour-Partei liegen. Sunak persönliche Umfragewerte stürzten im Lauf des Jahres immer mehr ab. 51 Prozent der befragten Wählerinnen und Wähler hatten zuletzt ein negatives Bild von ihm, nur noch 22 Prozent bewerteten ihn positiv.

Dieser Negativtrend dürfte den Politikbetrieb in Großbritannien in den kommenden zwölf Monaten überschatten. Denn 2024 dürfte ein Wahljahr werden. Gemäß den Regeln müssen spätestens im Januar 2025 landesweite Parlamentswahlen abgehalten werden. Sunak, der als Premier den Wahltermin festlegt, deutete kürzlich an, dass er damit nicht bis zum letzten Augenblick warten möchte. Seitdem spekulieren politische Beobachter über das mögliche Datum. Ein Termin im Mai erscheint vielen Beobachtern derzeit als besonders wahrscheinlich. Dann werden in vielen Landesteilen Kommunalwahlen abgehalten. Eine wahrscheinliche Niederlage der Tories würde die Aussuchten der Partei bei Parlamentswahlen weiter schmälern. Gut möglich also, dass bereits in wenigen Wochen der Wahlkampf beginnt.

Ein weiteres mögliches Comeback

Dabei dürfte sich 2024 das Augenmerk auch auf einen Politiker vom rechten Rand richten, um den es zuletzt ruhig geworden war: Nigel Farage. Der Euroskeptiker und ehemalige Chef der rechtslastigen Ukip-Partei war nach dem knappen Sieg der Leave-Seite beim EU-Referendum 2016 weitgehend von der politischen Bildfläche verschwunden. Seit kurzem arbeitet Farage sichtlich an einem Comeback. Schon beim Parteitag der Tories im Oktober war der Rechtspopulist, der sich als Reporter eines rechtslastigen Fernsehsenders Zugang verschafft hatte, der heimliche Star. Viele Delegierte der Partei, die im Zuge der Brexit-Wirren selbst stark nach rechts gerückt ist, schienen Farages Anwesenheit zu begrüßen. Ex-Innenministerin Priti Patel gelang es, etwaige Berührungsängste gut zu verstecken.



Zuletzt begab sich Farage als Teilnehmer der Trash-TV-Show „I'm A Celebrity“ in den australischen Busch. Dort kündigte er eine mögliche Rückkehr in den Politikbetrieb an. Und zwar als Mitglieder der konservativen Partei. Das sorgte in der Londoner Gerüchteküche erwartbarer Weise für reichlichen Rummel.

Seitdem ließ Farage, der früher bereits einmal bei den Tories war, zwar wissen, dass er der Partei nicht beitreten werde, solang Rishi Sunak Premierminister ist. „Rishi ist eine lahme Ente und die konservative Partei steuert auf eine totale Niederlage zu“, sagte er einer Zeitung. Einige rechtslastige Zeitungen des Landes spekulieren seitdem jedoch, dass ein „Dreamteam“ aus Nigel Farage und – festhalten! – Boris Johnson die Tories nach der erwarteten Niederlage bei den kommenden Wahlen wieder aus der Asche in die Regierungsverantwortung führen könnten. Gerüchte dazu dürften 2024 immer wieder aufkommen.



Das schrumpfende Ex-Empire

Führungsfragen dürften 2024 auch eine ganz andere Personalien betreffen: König Charles III. Genauer gesagt: Die Frage, in wie vielen Ländern er Staatsoberhaupt bleibt. Derzeit ist Charles Staatschef in 15 Ländern weltweit, unter ihnen Australien, die Bahamas und Grenada. Das könnte sich ändern. Viele ehemalige Kolonien haben bislang vor allem aus ihrer Verbundenheit gegenüber Königin Elisabeth II. heraus am Status einer konstitutionellen Monarchie unter der britischen Krone festgehalten. Ende 2021 beschloss jedoch bereits Barbados, eine Republik mit einem indirekt gewählten Präsidenten zu werden. Weitere könnten folgen: 2024 möchte Jamaika ein Referendum über seinen zukünftigen Status abhalten. In Australien, wo es schon lange eine starke republikanische Bewegung gibt, sollen landesweite Konsultationen dazu beginnen. Der Karibikstaat Antigua und Barbuda möchte innerhalb der kommenden zwei Jahre im Rahmen eines Referendums klären, ob er Charles als Staatschef behalten möchte.

Auf den Alltag in Großbritannien dürften diese Veränderungen keine spürbaren Auswirkungen haben. Symbolisch bedeutsam sind sie dennoch. Schließlich verkleinert sich dadurch zusehends der Einflussbereich der ehemaligen Weltmacht.

Großbritanniens angeschlagener Premier versucht auf dem Parteitag der Tories in Manchester, die Partei aus dem Umfragetief zu holen. In einem Landesteil dürfte er sich jedoch kaum Freunde gemacht haben.
von Sascha Zastiral

Wirtschaft setzt auf Umbruch

Innerhalb der Wirtschaft war die Stimmung im vergangenen Jahr trotz des ruppigen Starts verhalten positiv. Viele Wirtschaftsvertreter warten angesichts des Stillstands unter den Tories jedoch gar nicht mehr darauf ab, dass sich die Rahmenbedingungen noch innerhalb der amtierenden Regierung verbessern könnten. Sie gehen stattdessen seit Monaten immer stärker auf die oppositionelle Labour-Partei und auf ihren Chef Keir Starmer zu. Dort werden sie mit offenen Armen empfangen. Führende Labour-Politiker und auch Starmer selbst halten regelmäßig Treffen und Konsultationen mit Wirtschaftsvertretern ab. Beim Labour-Parteitag im Oktober tummelten sich Hunderte von ihnen.

Dazu befragt, welche Partei sie favorisieren, antworteten dann auch kürzlich in einer Umfrage 45 Prozent der befragen Wirtschaftsvertreter: Labour. Nur noch 32 Prozent gaben den Tories den Vorzug.

WiWo Coach Gesetzliche Rente oder Versorgungswerk – was ist besser?

Als Anwalt kann unser Leser bei der gesetzlichen Rentenversicherung oder einem Versorgungswerk einzahlen. Was lohnt eher? Rentenberater Markus Vogts antwortet.

Abwanderungswelle bei Sixt „Es beiden recht zu machen, ist eine unlösbare Aufgabe“

Der robuste Führungsstil von Sixt-Gründer Erich Sixt war legendär. Seine Söhne übertreffen ihn wohl noch. Die Abgänge häufen sich. Der Digitalvorstand ist schon weg, ein Finanzchef wird mal wieder gesucht.

Biontech „Das würde ein neues Zeitalter in der Krebstherapie einleiten“

Biontech arbeitet an über zwanzig Medikamenten gegen Krebs. Der Mediziner und Fondsmanager Markus Manns erklärt, wo es Hoffnung gibt, welche Präparate die besten Chancen haben – und wo es noch hakt.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Was Labour-Chef Keir Starmer bei vielen Wirtschaftsbossen besonders beliebt machen haben dürfte, ist sein Versprechen, dass er im Fall eines Wahlsieges eine Annäherung des Landes an die EU anstreben würde. Einen erneuten Beitritt zum Binnenmarkt oder zur Zollunion schließt Starmer derzeit zwar noch aus. Labour-Insider munkeln jedoch, dass eine Labour-Regierung nach einigen Jahren im Amt selbst dazu bereit sein könnte. Den Großteil der Bevölkerung, die schon länger nicht mehr viel vom Brexit hält, hätte eine Labour-Regierung damit hinter sich.

Lesen Sie auch: Labour-Chef Keir Starmer verspricht Wirtschaft enge Zusammenarbeit

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%