Als Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen am vergangenen Mittwoch verkündete, es gebe „keine Zukunft in der Bundeswehr“ für das umstrittene Sturmgewehr G36 in seiner der jetzigen Form, konnte sich Andreas Heeschen freuen. Denn nun kann der durch Schulden und Skandale geschwächte deutsche Rüstungshersteller Heckler & Koch, dessen Geschäftsführer und Mehrheitseigentümer Heeschen ist, wieder optimistisch in die Zukunft blicken.
So paradox es klingt: Der monatelange Streit um die Waffe und ihre mangelnde Treffsicherheit hat der Firma aus dem württembergischen Oberndorf großen Imageschaden zugefügt. Doch das Aus für sein wichtigstes Schießgerät könnte das Unternehmen sogar stärken. „Die Bundeswehr braucht nun eine andere Waffe und eine schnelle Lösung gibt es kaum ohne Heckler & Koch“, sagt Heinz Schulte, in der Rüstungsbranche bestens verdrahteter Chef des Informationsdienstes Griephan.
Die Debatte um das G36
Das Sturmgewehr G36 ist die Standardwaffe der Bundeswehr. Der Hersteller, das deutsche Rüstungsunternehmen Heckler & Koch, hat nach eigenen Angaben 178.000 Gewehre des Typs G36 an die deutsche Armee verkauft. Der Preis: Mehr als 180 Millionen Euro. Das Gewehr zeichnet sich nach Angabe der Bundeswehr durch „seine einfache Bauweise aus, sämtliche Hauptbaugruppen sind mit nur drei Haltebolzen am Waffengehäuse befestigt.“
Quellen: Bundeswehr, Unternehmen, dpa
Das G36 wiegt 3,63 kg und verfügt über ein Zielfernrohr sowie ein Reflexvisier. Es handelt sich um einen automatischen Gasdrucklader mit Drehkopfverschluss im Kaliber 5,56 x 45 Millimeter. Mit dem Gewehr können sowohl einzelne Schüsse als auch Feuerstöße abgegeben werden.
Das G36 löste das G3 ab, das sich seit 1959 im Einsatz bei der Bundeswehr befindet. Bei dem G3 handelt es sich um eine schwerere Waffe im größeren Kaliber 7,62 x 51 Millimeter.
Ende März 2015 hat die Bundeswehr Probleme bei der Treffsicherheit des G36 eingeräumt. „Das G36 hat offenbar ein Präzisionsproblem bei hohen Temperaturen aber auch im heißgeschossenen Zustand“, erklärte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. In den Jahren zuvor hatte es mehrere widersprüchliche Berichte über die Treffsicherheit des G36 gegeben. Unter anderem war die Munition für Ungenauigkeiten verantwortlichgemacht worden. Daraufhin hatte von der Leyen im Frühsommer 2014 eine Expertenkommission mit Vertretern der Bundeswehr, des Bundesrechnungshofs und des Fraunhofer-Instituts eingesetzt, um Klarheit zu schaffen. Der Abschlussbericht stand zum Zeitpunkt der Äußerungen noch aus.
Das Sturmgewehr G36 von Heckler & Koch wird nicht nur von der Bundeswehr verwendet, sondern auch von Armeen anderer Staaten. In Lettland, Litauen und Spanien ist die Waffe nach Angaben der Bundeswehr ebenfalls als Standardgewehr der Armee im Einsatz. Verwendet wird das G36 zudem von Spezialeinheiten in Jordanien, Norwegen und Mexiko. Aus Bundeswehr-Beständen sind kürzlich G36-Sturmgewehre an die kurdischen Peschmerga-Einheiten im Nord-Irak geliefert worden. Die Kurden sollen damit gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kämpfen.
Im spanischen La Coruña wurde das G36 in Lizenz von General Dynamics Santa Bárbara Sistemas hergestellt. 2008 erteilte die Bundesregierung außerdem eine Genehmigung zur Ausfuhr von Technologie für die Herstellung des Gewehrs in Saudi-Arabien. Diese Genehmigung sieht allerdings nach Angaben der Regierung nur eine Produktion für den Eigenbedarf der saudischen Sicherheitskräfte vor und keine autonome Fertigung ohne Zulieferung von Schlüsselkomponenten aus Deutschland.
Das ist der Ministerin wohl bewusst. Bei der Ausmusterung der Standardwaffe vermied sie anders als bisher Andeutungen, Heckler sei mit schuld an den Problemen.
Im Kern der G36-Debatte stand eigentlich ohnehin nicht die Frage, ob die Waffe aus dem Hause Heckler & Koch fehlerhaft oder von schlechter Qualität ist. „Die Ansprüche an das Standardgewehr der Bundeswehr haben sich in 20 Jahre seit der Bestellung verändert. Also braucht es auch eine andere Waffe“, sagt Schulte.
Der Goldstandard
Diese neuen Ansprüche, etwa dass ein Sturmgewehr nun wie früher nur Maschinengewehr im Dauerfeuer treffsicher bleiben soll, erfüllen zwar auch andere Anbieter wie Colt Defense aus den USA oder die belgische FN Herstal.
Doch trotz des jetzigen Imageschadens gelten Heckler-Schusswaffen „als der Goldstandard“, weiß Florian Jordan, Sicherheitsexperte der Münchner Unternehmensberatung H&Z und ehemaliger Elitesoldat.
Der schwäbische Waffenhersteller hat sogar Alternativen im Arsenal. Neben einer kompletten Neuentwicklung bietet Heckler mit dem HK 416 oder dem HK 417, das eine größere Durchschlagskraft entfaltet, gleich zwei solide Varianten. Beide werden vom Sondereinsatzkommando KSK der Bundeswehr sowie von Spezialkräften in den USA oder Polen verwendet. Gleichzeitig könnten die Waffenschmiede aus dem Schwarzwald Teile des G36 ersetzen, etwa durch einen dickeren Lauf.
Die heißen Eisen unter den Rüstungsprojekten der Bundeswehr
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich zum Ziel gesetzt, im Rüstungssektor der Bundeswehr aufzuräumen. Jahrelange Verzögerungen und Kostensteigerungen im mehrstelligen Millionenbereich soll es künftig nicht mehr geben. An diesem Donnerstag lässt sich die Ministerin bei einer Sitzung des Rüstungsboards über den aktuellen Stand bei einigen Großprojekten informieren. Hier fünf der heißesten Eisen unter den 1200 Rüstungsprojekten der Bundeswehr.
Die in absehbarer Zeit wichtigste, teuerste und heikelste Entscheidung will von der Leyen bis Mitte des Jahres treffen. Die Bundeswehr soll ein neues Raketenabwehrsystem erhalten. Zur Auswahl stehen „Meads“ – eine internationale Entwicklung unter Beteiligung der deutschen Raketenschmiede MBDA – und eine neue „Patriot“-Version des US-Herstellers Raytheon. In die Entwicklung von Meads floss bereits eine Milliarde Euro deutscher Steuergelder. Die Anschaffung würde mehrere weitere Milliarden kosten.
Die Aufklärungsdrohne hätte von der Leyens Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) fast das Amt gekostet. Wegen massiver Probleme bei der Zulassung des unbemannten Fliegers für den deutschen Luftraum und einer drohenden Kostenexplosion wurde die Entwicklung im Frühjahr 2013 gestoppt. Seitdem wird nach einem anderen Flugzeug gesucht, in das die von Airbus stammende Aufklärungstechnik eingebaut werden kann. Derzeitiger Favorit: Eine Schwester-Drohne des „Euro Hawk“ namens „Triton“.
Von der Leyen will die Bundeswehr mit bewaffnungsfähigen Drohnen ausrüsten. Zur Auswahl stehen eine US-Drohne, die „Reaper“ (Sensenmann) oder „Predator B“ (Raubtier) genannt wird, und „Heron TP“ (Reiher) aus Israel. Die Entscheidung wird noch vor Ende des Jahres erwartet.
Mit vier Jahren Verspätung lieferte Airbus Mitte Dezember das erste Transportflugzeug vom Typ A400M an die Bundeswehr aus. Das bedeutet aber noch nicht das Ende der Verzögerungen. Wieviele der fünf für dieses Jahr versprochenen Maschinen tatsächlich am niedersächsischen Fliegerhorst Wunstorf landen werden, ist noch völlig unklar. Der A400M bleibt ein Problemfall.
Auch mit kleineren Waffen gibt es große Probleme. Seit vielen Monaten wird über die Treffsicherheit des Standardgewehrs der Bundeswehr G36 diskutiert. Große Hitze verträgt die Waffe nicht besonders gut. Ein neuer Prüfbericht soll in den nächsten Wochen Klarheit darüber bringen, wie gravierend das Problem ist.
Eine endgültige Kür der neuen deutschen Standardwaffe gibt es wohl erst im Herbst, wenn die von der Verteidigungsministerin eingesetzten Kommissionen den Fall untersucht haben.
Auch dass alle 167000 G36 der Bundeswehr ausgetauscht werden, ist unwahrscheinlich. Wehrexperte Schulte hält einen veränderten Waffenmix für die wahrscheinlichste Lösung: „In diesem Szenario würden etwa die Soldaten, die in Kampfeinsätze gehen mit einer neuen Waffe ausgestattet.“ Aus seiner Sicht ist das G36 für den Großteil der Soldaten weiterhin ein adäquates Gewehr.
Heckler-&-Koch Chef Heeschen ist jedenfalls für alles offen. „Über Veränderungen an unseren Produkten kann immer geredet werden. Das ist unser tägliches Geschäft“, erklärte er jüngst. Neue Aufträge kann das Unternehmen mit einem Umsatz von gut 200 Millionen Euro gut brauchen. Denn der G36-Produzent ist nicht nur hoch verschuldet. Seine Kredite bergen trotz guter Zahlen nach Meinung der Rating-Agenturen Moody’s und S&P für Geldgeber auch ein hohes Ausfallrisiko.