Eines muss man dem Autobauer Volkswagen wirklich lassen. Bei der Entwicklung von Schummelsoftware zeigen sich die Programmierer des Konzerns offenbar äußerst kreativ.
Die eingebaute Software bei Dieselfahrzeugen des Porsche Cayenne soll erkennen können, ob der Autoschlüssel steckt, die Zündung an ist und der Luftdruck einen bestimmten Wert erreicht. Hinzu kommen weitere Parameter. Unter solchen Bedingungen steht ein Fahrzeug meist auf dem Prüfstand. Dann arbeitet die Abgasreinigung auf Höchstleistung. Kommen all die Parameter nicht zusammen, wird sie ausgeschaltet.
Auf der Straße stößt der Wagen dann also deutlich mehr giftige Stickoxide aus.
Der Einbau der Schummelsoftware führt nun zu einem Verkaufsverbot der 3,0-Liter-Dieselmodelle des Porsche Cayenne. Solange der Hersteller an einer rechtskonformen Software für die Motorsteuerung arbeitet, sind Neufahrzeuge in Deutschland nicht mehr zugelassen. Außerdem muss Porsche 22.000 Autos dieses Typs zurückrufen und ein Software-Update aufspielen. 7500 Autos davon fahren derzeit in Deutschland.
Zwei Jahre nach Beginn von Diesel-Gate entdecken Prüfer des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) immer noch illegale Abschalteinrichtungen. Das ist ein Skandal. Die Software schaltet die Abgasreinigung sogar ab, obwohl das Auto laut Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in der Lage wäre, mit der eingebauten Technik sämtliche Grenzwerte einzuhalten.
So wichtig ist die Autoindustrie für Deutschland
Erst der Skandal um manipulierte Abgaswerte, dann der Kartellverdacht gegen BMW, Daimler, Volkswagen und Co. Es drohen Strafzahlungen und Schadenersatz - und das in einer Zeit, in der die deutschen Autobauer durch neue Konkurrenten wie den Elektroauto-Hersteller Tesla oder Trends wie dem autonomen Fahren ohnehin vor großen Herausforderungen steht. Ein Überblick, wie wichtig die Autobranche für Deutschland ist.
Quelle: Reuters
Gemessen am Umsatz ist die Autobranche der mit Abstand bedeutendste Industriezweig in Deutschland: Die Unternehmen erwirtschafteten 2016 einen Umsatz von mehr als 405 Milliarden Euro. Das entspricht rund 23 Prozent des gesamten Industrieumsatzes. Mittelständisch geprägte Zulieferer sind für den Großteil der Wertschöpfung - etwa 70 Prozent - verantwortlich. Insgesamt werden mehr als 1300 Unternehmen der Branche zugerechnet.
Die Autounternehmen zählen in Deutschland direkt mehr als 800.000 Mitarbeiter. Indirekt sind es viel mehr, da für die Fahrzeugfertigung viele Teile, Komponenten und Rohstoffe zugekauft werden - etwa in der chemischen Industrie, der Textilindustrie, bei Maschinenbauern sowie in der Elektro-, Stahl- und Aluminiumindustrie. Auch Autohändler, Werkstätten und Tankstellen sowie weitere Dienstleister - etwa Versicherer - sind von der Autokonjunktur abhängig.
Fahrzeuge sind der größte deutsche Exportschlager. Mehr als drei Viertel der in Deutschland hergestellten Pkw werden exportiert: 2016 waren es gut 4,4 Millionen. Die Ausfuhren von Kraftwagen und Kraftwagenteilen summierten sich 2016 auf mehr als 228 Milliarden Euro. Das entspricht fast einem Fünftel der gesamten deutschen Exporten. Ein Großteil des Auslandsumsatzes wird in den EU-Ländern erwirtschaftet.
Weltweit investierte die deutsche Autoindustrie zuletzt fast 39 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung (FuE). Im Deutschland sind es knapp 22 Milliarden Euro, was mehr als ein Drittel der gesamten Ausgaben der heimischen Wirtschaft für Forschung und Entwicklung entspricht. Mehr als 110.000 Mitarbeiter sind in den Entwicklungsabteilungen beschäftigt. Von den weltweit 3000 Patenten zum autonomen Fahren entfallen etwa 58 Prozent auf deutsche Firmen.
Und was macht VW-Chef Matthias Müller? Er habe versprochen, „vollumfänglich zu kooperieren“, sagte Dobrindt auf der Pressekonferenz in Berlin. Die entscheidende Frage aber ist: Wusste Müller von der Schummelsoftware im Porsche Cayenne? Darauf gibt es im Prinzip nur zwei Antworten und beide führen zum gleichen Schluss: Müller muss zurücktreten.
Angenommen, Müller wusste Bescheid. Dann hat er der Öffentlichkeit den Einsatz der Schummelsoftware verheimlicht. Denn ans Tageslicht kam der neueste Skandal durch einen Bericht des „Spiegel“ im Juni. Es wurde damals vermutet, dass eine Software erkennt, ob ein Fahrzeug auf der Rolle steht oder nicht. Porsche ließ dementieren. Das KBA hatte daraufhin den Porsche Cayenne noch einmal genauer unter die Lupe genommen. Die Untersuchung hat den Einbau von Schummelsoftware nun bestätigt. Müller wäre dann nicht mehr zu halten.
Angenommen, Müller wusste tatsächlich nichts. Dann ist die einzig logische Erkenntnis: Der VW-Chef hat seinen Laden nicht im Griff. Zur Erinnerung: Nach Bekanntwerden des Diesel-Skandals warb Volkswagen in ganzseitigen Tageszeitungsanzeigen mit dem Satz: „Wir werden alles tun, um Ihr Vertrauen zurückzugewinnen.“ Doch nach zwei Jahren ist festzustellen: Nichts hat sich verändert. Ein Konzernchef, der in dieser langen Zeit nicht aufklären konnte, welche Modelle aus dem Reich der zwölf Marken illegale Abschalteinrichtungen verwenden, hat es nicht verdient, an der Spitze zu bleiben.
Volkswagen braucht einen neuen Chef. Darüber sollte man sich vor allem in der Staatskanzlei in Hannover Gedanken machen. Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent an dem Konzern.